Interview mit Marie Collins „Der Papst hat enttäuscht“

Rom · Bis 2017 arbeitete sie in der päpstlichen Kinderschutz-Kommission mit. In der Kirche vermisst Collins nach guten Worten konkrete Taten.

 Marie Collins (l., Archivfoto).

Marie Collins (l., Archivfoto).

Foto: AFP / ANDREAS SOLARO

Marie Collins wurde als 13-Jährige von einem Priester vergewaltigt. Schuldgefühle, Scham, Depressionen prägten ihr Leben, erst nach Jahrzehnten konnte sie davon berichten. Collins engagierte sich als Aktivistin, die sich gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche engagiert und gründete eine nach ihr benannte Stiftung für Betroffene. 2014 berief Papst Franziskus sie in die päpstliche Kinderschutz-Kommission. 2017 trat sie aus Protest zurück. Sie beklagte den Widerstand in der Kurie, besonders in der damals von Kardinal Gerhard Ludwig Müller geleiteten Glaubenskongregation.

Wie optimistisch sind Sie, dass der Vatikan-Gipfel über sexuellen Missbrauch in der Kirche Veränderung bringt?

Collins Ich bin nicht sehr optimistisch. Aber die Konferenz hat das Potential zu einem Wendepunkt zu werden, wenn die Teilnehmer die Chance ergreifen. Wir werden sehen.

Viele Kirchenführer behaupten, die Konferenz diene dazu, eine Art universales Bewusstsein im Umgang mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche zu schaffen. Ist das sinnvoll?

Collins Es stimmt, dass das Bewusstsein über Missbrauch in der Kirche und das Niveau seiner Akzeptanz von Land zu Land unterschiedlich stark ausgeprägt sind. In manchen Ländern Afrikas oder Asiens haben Betroffene große Schwierigkeiten, angehört zu werden. Bischöfe sind dort selbstgefällig und erkennen das Problem nicht.

Sie nahmen mehrfach an Kursen für Bischöfe in Rom teil, in denen diese für Kinderschutz sensibilisiert wurden. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Collins In meinen Gesprächen mit ihnen wurde mir klar, dass die Bischöfe völlig unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was überhaupt unter sexuellem Missbrauch zu verstehen ist. Das Kirchenrecht spricht ja auch ganz vage von „Verstößen gegen das sechste Gebot“. Auch die Parole „null Toleranz“ interpretieren sie unterschiedlich. Manche Bischöfe etwa aus Amerika oder Australien sind schon sehr weit. Andere interessieren sich gar nicht für das Thema oder meinen, es sei nicht relevant.

Was sollte auf der Konferenz ganz konkret passieren?

Collins Wir brauchen eine in der gesamten Kirche verankerte Definition davon, was genau unter sexuellem Missbrauch zu verstehen ist. Dasselbe gilt für die Konsequenzen der Taten. Franziskus verspricht von „null Toleranz“. Die Öffentlichkeit versteht darunter die Entlassung eines Priesters aus dem Priesterstand, wenn er als Täter überführt ist. Was aber verstehen die Bischöfe oder der Papst unter dieser Formel? Das Ergebnis muss im Kirchenrecht festgeschrieben werden.

Warum tut sich die Kirche so schwer mit dem Thema?

Collins Die Kirche hat lange Zeit vertuscht, um „Skandale“ von ihr abzuwenden. In anderen Worten sorgten sich die Verantwortlichen mehr um den guten Ruf der Institution als um die Opfer. Es gibt immer noch Leute in der Kirche, die so denken, vor allem in Ländern, wo das Thema erst jetzt zum Vorschein kommt. Sie wollen so wenig Diskussion wie möglich und meinen, dass sie weniger respektiert würden, wenn sie Missbrauch als Problem anerkennen. Viele sehen in den Opfern, die sich zu Wort melden, Feinde der Kirche. Diese Männer realisieren nicht, dass ihnen Respekt entgegen gebracht würde, wenn sie das Thema endlich konsequent angehen.

Sind kulturelle Unterschiede maßgeblich für die verschiedene Anwendung?

Collins Kulturelle Vorstellungen können unterschiedlich sein, aber das Wohl des Kindes muss immer Vorrang haben. Alle Kinder auf der Welt haben das Recht auf dieselbe Sicherheit.

Der Papst hat 2016 ein Verfahren gegen Bischöfe eingerichtet, die Missbrauchsfälle vertuschen. Ist das genug?

Collins Der Papst hat gesagt, es gebe ein Verfahren gegen Bischöfe oder Obere, die vertuscht haben. Das Verfahren ist geheim. Die Details darüber, wie gegen diese Männer ermittelt wird, wer ermittelt, wer urteilt und welche Strafen angewendet werden, das wird bislang alles im Vatikan hinter verschlossenen Türen gehandhabt. Wenn ein Bischof wegen Fahrlässigkeit abgesetzt wird, darf er zurücktreten. Und als Begründung wird dann seine schlechte Gesundheit oder sein Alter angegeben. Das bedeutet, er muss keine Verantwortung für seine Taten übernehmen. Die Geheimniskrämerei führt zu dem Eindruck, es gäbe so ein Verfahren gar nicht. Andere Bischöfe werden auf diese Weise auch nicht abgeschreckt. Das Verfahren sollte den Teilnehmern – aber auch der Öffentlichkeit – sehr genau erklärt und die bisherigen Verurteilten ebenfalls bekannt gegeben werden.

Wie sehen Sie die Rolle von Papst Franziskus beim Thema Missbrauch?

Collins Der Papst hat enttäuscht. 2014 setzte er eine Kinderschutzkommission ein und nahm deren Empfehlungen an. Als aber die Kurie sich dagegen wehrte, die empfohlenen Veränderungen umzusetzen, tat er nichts. Er hat viele gute Ankündigungen gemacht, etwa „null Toleranz“, aber er hat das in der Universalkirche nicht umgesetzt. Seine Worte sind gut, aber es folgen keine Taten.

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