Denkanstoß zu Ostern 2022 Warum das Kreuz ein Zeichen der Hoffnung sein kann

Analyse | Düsseldorf · Das Kreuz – kein anderes Symbol steht gleichermaßen für Schrecken wie Zuversicht, für Last wie Erlösung, für Tod wie Leben. Warum das Glaubenszeichen auch Nichtchristen Hoffnung geben kann – bei Krankheit, Krieg und Katastrophen. Eine Betrachtung.

 Ein Kreuz hat viel Symbolik - nicht nur in religiösen Aspekten.

Ein Kreuz hat viel Symbolik - nicht nur in religiösen Aspekten.

Foto: dpa/Ronny Hartmann

Die säkularisierte Gesellschaft braucht offensichtlich keine Kreuze mehr. Ostern ist, was die Werbung verkündet: Das Fest der Schokohasen und bunten Eier. Von Kreuz und Auferstehung ist selbst im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk kaum noch die Rede. Wenn überhaupt, dann dient das Kreuz als Symbol, das immer dann hervorgeholt wird, wenn Friedfertigkeit und Gottvertrauen zu verkünden sind. Wenn nur Beten hilft, wenn Krieg und Terror erschrecken, wenn die Schöpfung gefährdet scheint, wenn Solidarität gefordert und der Seelenfrieden in Gefahr ist, kommt das Kreuz zum Tragen. Dann schultern dieses ursprüngliche Zeichen der Glaubensstärke längst nicht nur Gottbewegte, von denen es rein statistisch immer weniger gibt, dann sind Aktivisten aller Art bereit, diesem alten Zeichen zu folgen.

Das sollte die Pfarrer freuen, die zu Ostern vor volleren Kirchenbänken predigen. Denn die Symbolhaftigkeit des Kreuzes ist in der heutigen, rationalen Zeit ohne ausgeprägten Geschichts- und Glaubensbezug kaum noch zu vermitteln. Das fängt schon bei den Kindern an, die kaum verstehen können, warum da an einem Balken ein halbnackter toter Mann hängt, dessen Hände und Füße mit schweren Nägeln durchbohrt sind. Die Leidensgeschichte Jesu, die mit dem Tod am Kreuz endet, findet erst mit der Auferstehung von den Toten ihre hoffnungsfrohe Perspektive. Aber das muss man erst mal glauben.

Das war schon in den ersten Jahrhunderten die große Herausforderung. Der römische Kaiser Konstantin machte das Christentum nur deshalb zur Staatsreligion, weil ihm im Traum verheißen worden sein soll, er werde im Zeichen des Kreuzes die Schlacht gewinnen. Sein Sieg im Jahre 312 an der Milvischen Brücke ließ das Kreuz, bis dahin mit dem Makel der Schmach verbunden, zum Symbol des aufstrebenden Christentums werden. Konstantins Mutter Helena hat dann, so die Legende, das wahre Kreuz Jesu im Heiligen Land ausfindig gemacht. Schon bald setzte ein Kreuzkult ein. Es wurden bis ins späte Mittelalter so viele Splitter als Reliquien verehrt, dass ihre Menge, so spotteten die Reformatoren, für einen ganzen Wald von Kreuzen gereicht hätte.

 Eine Figur des Jesus Christus mit dem Kreuz ist an einer Fassade in der Bamberger Altstadt zu sehen. Die Kirchen bereiten sich auf Ostern in der Corona-Pandemie vor.

Eine Figur des Jesus Christus mit dem Kreuz ist an einer Fassade in der Bamberger Altstadt zu sehen. Die Kirchen bereiten sich auf Ostern in der Corona-Pandemie vor.

Foto: dpa/Nicolas Armer

In bayerischen Amtsstuben hängt noch, was ansonsten in Deutschland weitestgehend verschwunden ist: Das Kruzifix. Das Bundesverfassungsgericht verlangt religiöse Rücksichtnahme. Schulen und Gerichte richten sich danach. Zur Wohnungseinrichtung gehört es schon lange nicht mehr. Im öffentlichen Raum ist es bestenfalls als Denkmal geschätzt. Als Glaubenszeichen kommt das Kreuz dort vor, wo sich die Gläubigen hinter dicken Mauern versammeln – in Kirchen, Kapellen, Klöstern. Ansonsten hat das Kreuz vor allem dort seine religiöse Strahlkraft behalten, wo es mit einer besonderen Botschaft ausgesandt wird.

So hat das Aachener Friedenskreuz, 1947 in Krefeld auf Initiative von Kriegsheimkehrern entstanden, immer wieder Friedensbewegte motiviert, sich auf den Weg zu machen – zu beten und zu streiten, sich einzusetzen für Verständigung unter den Völkern, für den Erhalt der Schöpfung, gegen den Braunkohltagebau und, ganz aktuell, für den Frieden in der Ukraine. Dabei ist den Trägern des Kreuzes und der Idee durchaus bewusst, was bei manchen Solidaritätskundgebungen für die Menschen in der Ukraine auf Plakaten verkündet wird: „Beten allein hilft nicht.“ Unter dem Kreuz versammeln sich aber – nicht nur im Bistum Aachen – vielerorts Gruppen, für die die Abwesenheit von Krieg nur der Anfang eines weltverbindenden Miteinanders ist, das auf Frieden in Freiheit gründet.

Wenn auch Kreuz und Glauben weitestgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sind, im Sprachgebrauch ist das Kreuz gegenwärtig. Wer es im Kreuz hat, klagt über Rückenschmerzen. Wer sein Kreuzchen macht, entscheidet sich – demnächst auch bei der Landtagswahl. Wer mit anderen über Kreuz lebt, ist zerstritten. Wer an der Kreuzung steht, muss sich entscheiden. Wer sein Kreuz trägt, nimmt das persönliche Schicksal an. Wer als kreuzbrav gilt, ist zu gut für diese Welt. Wer andere verflucht, ruft „Kruzifix, noch mal“. Wer andere ans Kreuz nagelt, schiebt ihnen die Verantwortung zu. Wer auf Kreuzfahrt geht, macht Urlaub auf einem Schiff, mit dem er kreuz und quer übers Meer schippert. Wer einen Kreuzzug anzettelt, will seine Ziele mit allen Mitteln durchsetzen. Und wer ein Autobahnkreuz sucht, findet es meist nicht in der Autobahnkirche.

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In den Begriffen spiegelt sich, wie stark das Kreuz das christliche Abendland geprägt und dabei Weltanschauung und Kultur nicht nur positiv bestimmt hat. Im Zeichen des Kreuzes kam es zu Tod und Schrecken, wurde gemordet und gebrandschatzt. Die katholische Inquisition, die Verfolgung vermeintlicher Ketzer, agierte im Zeichen des Kreuzes bis ins 18. Jahrhundert mit Folter und Tod. Die Kreuzfahrer zogen im Auftrag der Päpste in den Krieg gegen die Muslime, um mit Feuer und Schwert die heiligen Stätten zu erobern. Noch im Ersten Weltkrieg segneten Feldgeistliche an allen Fronten Kompanien und Kanonen. Die Gürtelschnalle preußischer Soldaten trug die Aufschrift „Gott mit uns.“

Gäbe es nicht das gottgefällige Werk, wie es vor allem von christlichen Sozialverbänden gepredigt wird, hätte das Kreuz seine friedensstiftende Wirkung längst eingebüßt. Johanniter oder Malteser, Caritas oder Diakonie betonen mit dem Kreuzsymbol ihr christliches Verständnis. Das Rote Kreuz, wenn auch weltlich organisiert, bedient sich ebenfalls der Symbolik. In Kriegen und Konflikten steht das Kreuz für Schutzräume und -zonen, die Angreifer verschonen sollen. Im Ukraine-Krieg hat sich die ganze Brutalität derer gezeigt, die das Kreuz als Schutzzeichen missachtet haben.

Die Prediger dieser Tage – ob Geistliche oder Reformbewegte, ob religiös oder politisch motiviert - fordern dazu auf, das Kreuz aufzunehmen. In den Kirchen wird dazu gern das Lukas-Evangelium zitiert: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Lukas 9, 23). Kreuzesnachfolge meint insoweit auch das Auftreten gegen Krieg und Gewalt, gegen Antisemitismus und Rassismus, gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung. So verstehen manche selbst den beschwerlichen synodalen Weg in der katholischen Kirche als Kreuzweg – der in Schmerzen zu einem gleichberechtigten Miteinander führen soll. So ist die politische Debatte um die Sanktionen gegen Russland bis hin zu einem Gas-Boykott letztlich von der Frage bestimmt, ob die Gesellschaft die Last dieses Kreuzes zu tragen bereit und in der Lage ist.

Das Kreuz steht heutzutage vor allem da, wo der Toten gedacht wird. Auf dem Friedhof. Zu Ostern aber verkünden die Kirchen, dass das Kreuz Hoffnung gibt. Der qualvolle Tod durch die Kreuzigung, in römischer Zeit gängige Strafe, wird nicht ausgeblendet, wohl aber durch die Auferstehung verklärt. In der christlichen Logik gibt es ohne Leid keine Erlösung, ohne Tod am Kreuz keine Auferstehung von den Toten. Glaube, Liebe und Hoffnung, die dem christlichen Selbstverständnis innewohnen, machen das Kreuz zum Zeichen der Erlösung von allen Übeln. Die frohe Botschaft von Ostern, durch Frühling und Familie bestärkt, ist das Bekenntnis zum Leben. Dazu passt, was die Pfarrerstochter Angela Merkel einst verkündete: „Wir schaffen das!“. Ostern ist das Fest der Zuversicht – trotz Krieg und Corona.

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