Kirchen-Jahr 2022 Ein Gutachten auch über den deutschen Papst
Düsseldorf · Die katholische Kirche wird sich auch 2022 intensiv mit der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs beschäftigen müssen. Zugleich wird der Reformweg fortgesetzt. Eine Vorschau auf das Kirchen-Jahr.
Es wird in der katholischen Kirche hierzulande auch 2022 wieder einiges los sein. Wenn man das überhaupt so salopp sagen darf. Seitdem die vielen Fälle sexualisierter Gewalt durch Priester einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden, fanden die Debatten, die Rufe nach Reformen und die Frustrationen vieler Gläubige praktisch kein Ende. Das wird auch im neuen Jahr so weitergehen, und vermutlich besonders spektakulär gleich im Januar im Erzbistum München und Freising. Dort soll in der dritten Kalenderwoche das Missbrauchsgutachten über Pflichtverletzungen präsentiert werden. In den Blick nahmen die Gutachter die Jahre zwischen 1949 und 2019; und da ist die internationale Aufmerksamkeit natürlich riesig. So war der emeritierte Papst Benedikt XVI. von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising. In diese Zeit fällt die Versetzung des Priesters H.: Der Missbrauchstäter wurde aus dem Bistum Essen ins Erzbistum München im Grunde weitervermittelt. Die Taten sollen dem damals amtierenden Erzbischof Ratzinger bekannt gewesen sein. Sechs Jahre später wurde der Priester dann wegen einer erneuten Tat zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Eigentlich sollte das Gutachten schon veröffentlicht worden sein, doch ließ die Kanzlei verlauten, dass es in „jüngerer Vergangenheit neue Erkenntnisse“ gegeben habe, die noch intensiv geprüft werden mussten. Auch das gibt den Spekulationen über eine persönliche Verantwortung von Benedikt XVI. reichlich Nahrung. Gutachter ist die Münchner Kanzlei Westphal Spilker Wastl (WSW), die zuvor nicht nur im Bistum Aachen tätig gewesen ist, sondern auch im Erzbistum Köln. Dort aber hatte man die Veröffentlichung des WSW-Gutachtens im März 2020 kurzfristig wegen „methodischer Mängel“ gestoppt und im darauffolgenden Oktober dann ganz ausgesetzt. Stattdessen hatte Köln den Strafrechtler Björn Gercke mit einem neuen Gutachten beauftragt.
All das wird 2022 noch eine gewichtige Rolle spielen. Denn auch das völlig unzureichende Kommunikationsverhalten von Kardinal Rainer Maria Woelki hatte Papst Franziskus dazu veranlasst, den kritisierten Erzbischof in eine Auszeit zu schicken. Diese soll am Aschermittwoch 2022 – also am 2. März – beendet sein. Sollte Kardinal Woelki dann weiterhin das Erzbistum leiten, wird man sehen müssen, ob sich neue Zukunftswege auftun werden und das zerrüttete Verhältnis zu vielen Laien wieder in einen Dialog münden kann. Zunächst wird über die Rückkehr des Kardinals gerätselt. So könne es nicht sein, „dass der Aschermittwoch kommt und Kardinal Woelki aus der Wundertüte steigt“, hatte Weihbischof Rolf Steinhäuser unserer Zeitung erklärt. Er leitet derzeit als Apostolischer Administrator kommissarisch das Erzbistum. Für Woelkis Rückkehr gebe es allerdings „momentan noch keine Planung“, wie es hieß.
Kurz nach Aschermittwoch kommen dann die 68 Mitglieder der deutschen Bischofskonferenz zu ihrer Frühjahrsvollversammlung zusammen, diesmal im oberfränkischen Wallfahrtsort Vierzehnheiligen. Natürlich werden die Aufarbeitung des Missbrauchs sowie die strukturellen Gründe, die diese Taten begünstigen, eine Rolle spielen – begleitet vom inzwischen dramatischen Bindungsverlust der Menschen hierzulande zu beiden christlichen Kirchen.
Der Ruf nach Reformen durchzieht das Land seit langem. Er scheint von Jahr zu Jahr lauter zu werden, mitunter auch verzweifelter. Und offenbar schwindet die Hoffnung bei vielen Menschen, dass Kirche, so wie sie sich präsentiert und agiert, zum Wandel noch fähig ist.
Mit viel Elan hatten Bischöfe und Laien sich zu einem Synodalen Weg aufgemacht. Der begann 2020 und sollte 2021 abgeschlossen sein. Auch durch Corona wurde dieser Weg immer länger. Im kommenden Februar wird in einer dritten und im September in einer vierten Synodalversammlung über Reformen beraten werden. Und kürzlich wurde sogar ein fünftes Treffen für 2023 beschlossen. Auch das ist ein Zeichen des enormen Reform- und Gesprächsbedarfs, wobei es in diesem Jahr erstmals konkrete Ergebnisse, Forderungen, Erklärungen geben soll. Wie hält es die Kirche mit der Sexualmoral, wie mit der Ehelosigkeit der Priester, der Gewaltenteilung und der Teilhabe der Frauen auch an Weiheämtern? Das sind die zentralen Fragen, die sich viele Menschen stellen – die aber allein in Deutschland kaum werden entschieden können. Die katholische Kirche ist eine Weltkirche, und so hat der Vatikan bei jeder Vollversammlung auch seine Beobachter dabei. Ein deutscher Sonderweg dürfte indes nicht die größte Sorge Roms sein. Vielmehr wird befürchtet, dass der Synodale Weg hierzulande zumindest auch in anderen europäischen Ländern Schule machen könnte.
Die Verkündigung einer Frohen Botschaft scheint es auch 2022 schwer zu haben. Vielleicht klappt es ja hoffnungsvoll Ende Mai, wenn das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zum 102. Deutschen Katholikentag für fünf Tage nach Stuttgart einlädt. „leben teilen“ lautet das Motto, und angekündigt werden Glaube, Euphorie, Maultaschen und Spätzle.
Wohin der Weg der katholischen Kirche 2022 führen wird, bleibt ungewiss. Aber es dürften wenigstens wichtige Richtungen angezeigt werden. Noch sind die Reformkräfte trotz vieler Rückschläge nicht müde geworden – weder die Synodalen noch die Kirchenvolksbewegungen und die engagierten Frauen von Maria 2.0. Und vielleicht ändern sich Ton und Gewichtungen in den Debatten mit zwei Personalentscheidungen, die 2021 getroffen und 2022 spürbar wirksam werden: So wurde die Sozialwissenschaftlerin Irme Stetter-Karp zur neuen Präsidentin des ZdK gewählt – nach Rita Waschbüsch ist sie die zweite Frau an der Spitze der deutschen Laien; während die aus Hückeswagen stammende Theologin Beate Gilles als Kostenpflichtiger Inhalt neue Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz in der langen Geschichte dieses Gremiums eine absolute Premiere ist.