Gott Und Die Welt Wenn der Sommer so langsam Abschied nimmt

Der Frühling ist voller Erwartung, der Sommer ist die Erfüllung, der Herbst die Erinnerung. Doch ist es nicht so weit. Wir sind mitten im melancholischen Übergang – also Zeit, um nachzudenken.

Der Frühling ist voller Erwartung, der Sommer ist die Erfüllung, der Herbst die Erinnerung. Doch ist es nicht so weit. Wir sind mitten im melancholischen Übergang — also Zeit, um nachzudenken.

Noch ist also Sommer. Und zu dieser zweifelsfreien Erkenntnis braucht keiner in unserem Dorf einen Meteorologen oder TV-Wetterfritzen, keinen Bauern- und keinen Maya-Kalender (steht darin neben dem üblichen Weltuntergangsgedöns eigentlich auch Bedeutsames zum Wetter?). Bei uns reichen der Gang zum Bäcker und diese Beobachtung: Steht die Warteschlange in irritierend grader Reihe vor dem Lädchen — Penaten-Heini, unser Drogist, nennt sie die "englische Aufstellung" — so ist es ohne Wenn und Aber sommerlich. Haben sich die samstäglichen Brötchenholer indes ins Lädchen verkrümelt, so naht der Winter. Das ist vergleichsweise einfach.

Es gibt natürlich auch die Zeit des Übergangs, in der man nicht so recht weiß, ob unsere Aufstellung draußen noch Sinn macht oder der ungeordnete Haufen drinnen günstiger wäre. Da beginnt das Leben kompakt zu werden, ein bisschen überschaubarer gedacht: Man wird nachdenklich. Denn der Abschied vom Sommer ist leichter verkündet als gelebt. Das Freibad wird nur noch dieses Wochenende geöffnet haben und danach ein merkwürdig verwaistes Areal sein. Demnächst schließt auch die Eisdiele und Francesco fährt zurück nach Modena. Doch vorher wird er die Scheiben mit dem rosafarbenen Einpackpapier zukleben. Vielleicht hören wir an diesem Wochenende zum letzten Mal im Jahr die Rasenmäher der Nachbarschaft, die uns den halben Sommer verfolgt und auch genervt haben und die wir bald vermissen werden. Noch einmal werden die schon vielen Blätter von der Minigolf-Bahn gefegt; darunter wird leicht rissiger Beton sichtbar. Das ist dann die Arbeit für die Winterpause. Der Strandkorb auf der Terrasse — in dem man, wie jedes Jahr, viel zu selten gesessen hat — wird gründlich gesäubert und mit der sperrigen Plane zugedeckt. Aus der mondänen Seebad-Erinnerung wird so ein brauner Plastikklotz. Die Luft riecht schon etwas nach Herbst, die Wärmegewitter häufen sich. Doch noch beschlägt der Atem am Morgen nicht. Ein bisschen melancholisch könnte man da werden, eine Stimmung, die ganz gut ist, um sich abzufinden und in etwas Neuem behutsam einzufinden. Der Frühling ist voller Erwartung, im Sommer wartet die Erfüllung, der Herbst ist die Erinnerung. Der Herbst ist aber auch Lesezeit — also im Weinberg. Und gerade jetzt kommt es mit jedem einzelnen Sonnenstrahl auf jeden einzelnen Oechsle an. Möge also unsere putzige Schlange vor dem Bäckerlädchen vorerst kein Ende nehmen. Ein seltener Wunsch in "Gott und die Welt": Dionysos hilf!

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(RP)
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