Gott Und Die Welt Warum zu jeder Reise auch die Rückkehr gehört

Eine Reise lebt immer auch von der Möglichkeit, von ihr nach der Rückkehr erzählen zu können. Das ist ihr Sinn und vielleicht sogar ihr Erkenntnisgewinn.

Soweit man die Schlange vor dem Bäckerlädchen überschauen konnte, waren wieder alle da. Zurückgekehrt also aus aller Welt, in die sich der Mensch im 21. Jahrhundert trotz Television und Internet in den Sommermonaten aufzumachen pflegt. Und während ganz vorne ein kleines Murren anhob, weil die Sauerteigbrötchen erst in fünf Minuten fertig sein sollen (Herrgott, was sind fünf Minuten angesichts der Zeitersparnis, das Korn nicht selbst ernten und mahlen, den Teig nicht kneten und das Brötchen nicht backen zu müssen!), gingen nach der Sommerreise noch einmal ein paar Gedanken übers Reisen auf die Reise. Vor allem über die Rückkehr, die als Versprechen, Wunsch und Hoffnung am Anfang jeder Reise steht und eine Reise überhaupt erst zur Reise macht. Denn eine Reise ohne Rückkehr ist eine Flucht, ein Auswandern oder sonst ein Neubeginn. Die Reise aber lebt mit der Rückkehr von der Option, das Erlebte zu erzählen. Tradieren, könnte man ein wenig protzig auch dazu sagen. Die Rückkehr macht die Reise erzählensfähig; und vielleicht setzt erst damit die Erinnerung ein. Und weil in einer Kolumne auch einmal Kierkegaard Erwähnung finden sollte, um auf diese Weise den Beleg zu erbringen, dass die horrenden Bafög-Zahlungen nicht vollends für die Katz' gewesen sind, seien an dieser Stelle des Dänen klugen Worte zitiert: Dass nämlich alles Erkennen ein Erinnern und das ganze Leben eine Wiederholung sei. Vor diesem Hintergrund gewinnt der Archetypus sommerlicher Urlaubserinnerungen einen ganz neuen Bedeutungskontext.

Die Rede ist von der ausgestorbenen Dia-Show, zu der neben Projektor (meist mit defekter Birne) und stinkender Leinwand (wahlweise ein Bettlaken) auch die heimgekehrten Urlaubsreisenden gehörten sowie eingeladene Freunde – kurz Opfer geheißen. Bedenkt man also, welche komplexen Vorgänge sich dabei mit der erinnerten Reise und dem damit verbundenen Erkennen ereigneten, so reut es einen doch, diese Abende nicht als Schule des Lebens begriffen zu haben. Es war eben immer nur ein Dia-Abend.

Und was ist an seine Stelle getreten? Facebook-Einträge? Die per MMS sofort versendeten Handyfotos? Oder Zeitungskolumnen wie diese? Nein, nein, vom eigenen Urlaub soll jetzt nicht gesprochen werden. Dafür reichen die Zeilen ja nicht mehr. Zudem bin ich beim Bäcker jetzt an der Reihe: Vier Sauerteigbrötchen, bitte. Das dauert aber fünf Minuten. Macht nichts, in der Zwischenzeit erinnere ich mich der Brötchen aus der vergangenen Woche – diesmal aber mit Erkenntnisgewinn!

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(RP)
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