Gott Und Die Welt Warum wir heute keinen Fußball schauen sollten

In der Heimat regt sich Widerstand gegen die Unterstützung der Fußballnationalmannschaft: Kritische Geister klauen die Fußballfähnchen an den Autos. Deutschland 2014 - ein Wintermärchen.

Während sich die deutschen Fußballer im fernen Brasilien mühen und sich die Sportlerlunge aus ihren durchtrainierten Leibern rennen, tobt bei uns - darf man's sagen? - die Heimatfront. Dergleichen hat es in Deutschland doch schon einmal gegeben, werden die ziemlich betagten Zeitzeugen unter uns sagen. Das war zum Ende des Ersten Weltkriegs so, als die politischen Unruhen daheim dem Soldaten an der Front das Siegen angeblich unmöglich machten. So weit, so dümmlich.

Derart martialisch und geschichtsfälschend tobt die Heimatfront in diesen Tagen zwar nicht, doch regt sich auch hier der Widerstand gegen eine Unterstützung unserer fern tätigen Landesvertreter. "Sag Nein zu Deutschland" lautet eine der Initiativen, die den Nationalstolz gleich von drei Seiten attackieren: indem sie unsere Fußballer im Stich lassen, unsere Fahne schmähen und unsere Autos beschädigen.

Kurzum: Sie entfernen - in Sorge vor einem aufkommenden Nationalismus - die billig aus Plastik gestalteten, nachlässig ans Auto montierten und im Getränkemarkt nachgeworfenen Deutschlandfähnchen. Einfach so. Und dann schmeißen sie diese vielleicht in den Dreck der Straße, wo schon die anderen, vom Fahrtwind demontierten Fähnchen rumliegen. Deutschland liegt am Boden, ein trauriges Bild.

Ein komisches Sommermärchen ist das also, zumal die Temperaturen bei uns mehr an ein Wintermärchen erinnern und das eifrige Fähnchenschwenken in Richtung Brasilien oder Großleinwand ohnehin etwas absurd Distanziertes und nur noch Mediales hat. Dabei wähnten sich die Deutschen nach ihrem Sommermärchen 2006 doch schon ein Stück souveräner, wenigstens gelassener. Dafür gab es sogar philosophischen Beistand: Peter Sloterdijk vermeldete, dass eine deutsche Herkunft kein Grund mehr für einen Vertrauensentzug sein müsse. "Ein deutscher Name kann wieder ein Integritätssymbol höchsten Niveaus darstellen", sagte er. Damit meinte er seinerzeit aber nicht den Helden Thomas Müller, sondern Benedikt XVI., den mittlerweile nur noch emeritierten Papst. Die Frage ist nun, ob es Deutschland in dieser nationalpsychologisch prekären Konstellation zuträglich ist, Weltmeister zu werden, oder es nicht doch besser wäre, unglücklich im Halbfinale zu scheitern. Und was sagt das über die Unterstützung an der "Heimatfront" aus? Und über die Fähnchen, die Getränkemärkte, unsere Autos?

Unbefangen sollten wir heute Abend darum nicht fernschauen. Politisch weit feinnerviger wäre es, sich für Arte zu entscheiden: 21.45 Uhr, "La Wally". Die Oper von Alfredo Catalani spielt im fernen Ötztal, auch dort ist die Luft dünn.

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(RP)
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