Reform in Israel Gerechtigkeit in Gefahr

Meinung · Die Justizpläne der Regierung wider­sprechen religiösen Werten. Das ist sehr schmerzlich für mich als religiösen Juden und überzeugten Zionisten. Trotzdem gibt es Hoffnung.

 Israelische Demonstranten bei einem Protest gegen die Pläne der neuen Regierung von Premierminister Netanjahu.

Israelische Demonstranten bei einem Protest gegen die Pläne der neuen Regierung von Premierminister Netanjahu.

Foto: dpa/Ilia Yefimovich

Bisher war ich der großen Überzeugung, dass kein anderes Volk eine so starke Wertschätzung für Recht und Gerechtigkeit hat wie die Juden, wahrscheinlich auch als Folge der Geschichte als ausgegrenzte und diskriminierte Minderheit. Der eigentliche Grund aber ist Verankerung in der Religion. Die Tora verpflichtet uns (in Deut 16, 18-20): „Du sollst Richter und Beamte in allen Städten ernennen... und sie sollen die Menschen mit einem gerechten Urteil richten. Du sollst nicht Gerechtigkeit pervertieren, nicht parteiisch sein und keine Bestechung akzeptieren... Gerechtigkeit, Gerechtigkeit sollst du verfolgen!“

Verschiedene Kommentatoren weisen darauf hin, dass das letzte Wort, also „verfolgen/nachjagen“, Mühe und Eifer impliziert. Es ist also nicht genug, Gerechtigkeit einfach zu befolgen. Gerechtigkeit muss aktiv vorangetrieben werden. Dafür organisierten die bereits erwähnten Richter eine lokale Rechtsprechung, während der Sanhedrin in Jerusalem (eine Art Bundesverfassungsgericht) die oberste Instanz war, nicht nur für religiöse Dinge, sondern auch in Fragen des Zivilrechts. Der Sanhedrin entschied zudem über die Hohepriester im Tempel. Dieses System garantierte eine Gewaltenteilung, zwischen weltlicher, religiöser und richterlicher Macht. Selbst Könige und Eliten wurden teils scharf von den Propheten kritisiert und bei Fehlverhalten bestraft. Nicht grundlos meinte Heinrich Heine: „Seit der Zeit Abrahams wird Recht mit einem he­bräischen Akzent gesprochen.“

Leider sind es gerade die Parteien in der israelischen Regierung, die sich religiös nennen, die jetzt eine Justizreform mit auf den Weg gebracht haben, die den religiösen Werten und Geboten fundamental widerspricht. Das ist sehr schmerzlich für mich als religiösen Juden und überzeugten Zionisten. Optimistisch stimmt mich aber der breite Widerstand der israelischen Zivilgesellschaft. Und so hoffe ich auf einen Kompromiss, der auch weiterhin eine unabhängige Justiz in Israel garantiert.

Unser Autor ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz. Er wechselt sich hier mit der katholischen Theologin Dorothea Sattler, der evangelischen Religionslehrerin Anne Schneider und dem Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide ab.

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