Gott und die Welt Warum Streiks auf die Bibel zurückgehen

Meinung · Soziale Gerechtigkeit fußt auch auf fairem Lohn – der ist sogar biblisches Gebot. Der Talmud regelt detailliert die Rechte und Pflichten zwischen Arbeitgeber und -nehmer. Daraus lässt sich etwas für heute ableiten.

An einem Fenster in Berlin hängt ein Transparent mit dem Slogan "Es lebe der Streik".

An einem Fenster in Berlin hängt ein Transparent mit dem Slogan "Es lebe der Streik".

Foto: dpa/Michael Kappeler

Momentan sind viele Deutsche von den ungewöhnlich vielen und langen Streiks genervt. Die Lohnforderungen sind teilweise sehr hoch. Ist das gerechtfertigt oder sind die Gewerkschaften zu unverschämt? Studien zeigen, dass Arbeitnehmer selbst bei relativ hohen Lohnabschlüssen reale Kaufkraftverluste hinnehmen müssen. Dabei ist soziale Gerechtigkeit und eine faire Verteilung des Wohlstands nicht nur zivilisatorische Errungenschaft, sondern auch biblisches Gebot.

Immer wieder fordert die Bibel ein Sozialsystem und die Unterstützung von Armen und Schwachen. Die biblischen Regeln zu den Schabbatjahren sorgten für regelmäßige Entschuldung und Rückgabe von verpfändetem Eigentum. Der Talmud regelt detailliert die Rechte und Pflichten zwischen Arbeitgeber und -nehmer. Natürlich muss letzterer seine Arbeit gut und zuverlässig erledigen, dafür hat er aber auch das Recht etwa auf Pausen, Arbeitskleidung und anderes.

Das wichtigste ist aber ein fairer Lohn und seine pünktliche Auszahlung. Der Talmud sagt (Baba Mezia 111a): „Wenn jemand den Lohn eines Lohnarbeiters zurückhält, übertritt er gleich fünf Verbote.“ Eine ungerechte Gesellschaft kann fatale Folgen haben. Im 8. Jahrhundert v.d.Z. hatte Israel eine Zeit der Stabilität und Prosperität. Der wirtschaftliche Wohlstand schuf aber auch eine neue Elite und neue soziale Schichten. Der Grundkonsens über soziale Gerechtigkeit, Schutz der Schwachen und einer auf Recht basierenden Königsherrschaft erodierte. Interne politische Konflikte, soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückung waren die Folge. Der Prophet Amos warnte die Eliten – ohne Erfolg. Das Ergebnis war der Untergang dieser Gesellschaft.

Auch wenn die Tarifrunden mit ihren Streiks manchmal Probleme durch geschlossene Kitas und ausgefallene Züge bereiten, eine gerechte Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen sind ein wichtiger Bestandteil des sozialen Friedens und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Unser Autor ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz. Er wechselt sich hier mit der katholischen Theologin Dorothea Sattler, der evangelischen Religionslehrerin Anne Schneider und dem Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide ab.

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