Krisen in der Welt Wo ist Gott?
Meinung | Münster · Es ist eine alte Frage. Aber angesichts des massiven Unrechts und der vielen Leiden in der Welt, angesichts der Gräuel in der Ukraine und des brutalen Vorgehens im Iran, ist sie aktueller denn je.
Ein brutaler Krieg in der Ukraine mit täglich vielen Opfern, Proteste im Iran mit Toten und Verletzten, rapide steigende Lebenskosten, auch hier bei uns in Europa, ein bevorstehender ungewisser Winter und eine Pandemie, die weiterhin die Gesundheit vieler Menschen bedroht. Mit diesen und vielen anderen Herausforderungen werden zurzeit Millionen von Menschen auf der Erde konfrontiert. Die Frage danach, wo Gott dabei ist, ist unter solchen Umständen mehr als berechtigt.
Die monotheistischen Religionen erzählen von einem Gott, der es gut mit uns Menschen meint. Aber warum greift dieser Gott dann nicht endlich ein und beseitigt all diese Missstände auf der Erde und ermöglicht uns ein Leben jenseits von Krieg, Armut und Krankheit? Oder aber kann es sein, dass dieser Gott uns ernster nimmt, als diese Fragen suggerieren? Was, wenn dieser Gott uns das Ruder überlassen hat und sich auf uns Menschen so sehr verlässt, dass er sein Wirken von unserem Handeln abhängig macht? Wäre dies nicht ein Zeugnis höchster Würdigung des Menschen?
Nach diesem Verständnis trägt der Mensch die volle Verantwortung für den Werdegang seiner Geschichte. Er ist keine Marionette der Schöpfung, sondern ein Lenker der Welt. Gott handelt durch den Menschen, indem er ihnen das Angebot macht, die Hand der Liebe Gottes zu sein. Das Handeln Gottes beschränkt sich hauptsächlich auf das Inspirieren des Menschen mit dem Guten und Positiven. Glaube bedeutet nichts anderes als ein Ja zu diesem Angebot. Dadurch bleibt die Freiheit des Menschen geschützt und gewürdigt.
Konkret heißt dies, dass jeder noch so kleine Beitrag zur Linderung des Leides in der Welt, jeder Akt des Schenkens von Trost, jede Geste der Liebe, jede Maßnahme zur Bewahrung der Schöpfung, Zeugnisse von Religiosität sind. Und gerade diese schweren Zeiten sind ein Prüfstein für Religionen. Predigen sie weiterhin nur abstrakte lebensferne Dogmen oder sind sie um das Wohl des Menschen hier und jetzt besorgt? Ist Gott irgendwo im Himmel verborgen oder hat er sich dazu entschieden, in den Herzen der Menschen Platz zu finden, die sich als Hände seiner Liebe definieren? Ist Gott nur ein Zuschauer im Himmel oder ist er dort, wo ich einem Leidenden die Hand zur Hilfe reiche?
Unser Autor ist Islamwissenschaftler an der Universität Münster. Er wechselt sich hier mit der Benediktinerin Philippa Rath, der evangelischen Pfarrerin Friederike Lambrich und dem Rabbi Jehoschua Ahrens ab.