Kolumne: Gott Und Die Welt Ein stilles Prosit Neujahr

Am Wochenende beginnt das neue Kirchenjahr. Es gewährt einen Blick in unsere Zukunft und erfüllt damit einen uralten Traum der Menschheit.

Prosit Neujahr! Für diesen Wunsch gibt es an diesem Wochenende reichlich Grund: Mit dem ersten Adventssonntag beginnt für Christen das neue Kirchenjahr. Allerdings ohne Böller, sondern fast heimlich, still und leise. Das glühweinselige Feier-Gesumse stammt vom Adventsmarkt nebenan.

Das Kirchenjahr ist als Kalendarium natürlich untauglich und chancenlos gegen den gregorianischen Kalender, dem wir uns seit dem 16. Jahrhundert anvertrauen. Aber um eine profane Zeitmessung geht es im Kirchenjahr auch nicht. Seine Zeit orientiert sich an den beiden Festkreisen um Ostern und Weihnachten - also an der Auferstehung und der Geburt Christi. Das Kirchenjahr erzählt die Geschichte, wie Gottes Sohn zu uns gekommen und wie er in den Himmel aufgefahren ist. So gesehen stellt das Kirchenjahr uns eine Glaubensfrage.

Unser alltagstauglicher Jahreskalender ist wertfrei; brav und verlässlich zählt er die Tage, Wochen, Monate. Das Kirchenjahr hingegen kennt Ziele und bereitet sie mit dramatischen Effekten vor. Dazu gehört der Advent - die vierwöchige Wartezeit auf Weihnachten. Es mutet fast wie ein christlicher Countdown an, wenn an jedem Adventssonntag eine weitere Kerze entzündet und die Zeitreise bis zur Menschwerdung Gottes dadurch immer heller wird. Mit ihren eisernen, kupfernen, silbernen und goldenen Sonntagen ist die Zeit des Advents eine kleine Epoche der Vorbereitung, der Einkehr. Auch darum galt früher - vor der lukrativen Erfindung des Weihnachtsgeschäftes - der Advent als Buß- und Fastenzeit.

Das Kirchenjahr ist mit seinen Heilserwartungen ein Zukunftskalender. Es ist ein uralter Wunsch der Menschheit, zu erfahren, was kommen und was sein wird. Dafür scheint der Mensch jetzt ein geeignetes Instrument gefunden zu haben, und dass dieses nicht von Menschenhand bedient wird, gilt als Ausweis seiner unbestechlichen Verlässlichkeit. Das sind die sogenannten Algorithmen - Computerprogramme, die mit irrsinnig vielen Informationen gefüttert werden und dann bestimmte Ereignisse vorhersehen, besser gesagt: vorausberechnen können. Wann bekomme ich nach bisheriger Lebensweise einen Herzinfarkt? Was werde ich nach bisherigen Kaufgewohnheiten tatsächlich konsumieren wollen? Wann gibt der Motor meines Wagens seinen Geist auf?

Nützlich scheint das zu sein, unsere Zukunft der Wahrscheinlichkeit zu unterwerfen. Doch in welche Hände begeben wir uns? Mit Beginn des Kirchenjahres kann man spüren, dass etwas Neues in die Welt kommt. Und dass es sich dabei um etwas Altes und Wiederkehrendes handelt, spendet Trost, gibt Gewissheit. Mit dem Kirchenjahr lernen wir, dass unsere Zukunft immer schon in der Vergangenheit begonnen hat.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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