Kolumne: Gott Und Die Welt Die Ordnung der Flaschensammler

Seinen Lebensunterhalt kann man mit Flaschensammeln nicht bestreiten. Viele Menschen suchen damit etwas anderes: eine Struktur für ihren Alltag.

Kolumne: Gott Und Die Welt: Die Ordnung der Flaschensammler
Foto: Phil Ninh

Wir schauen dann ja meist weg, wenn sie vor unseren Augen ihrem Tun nachgehen. Manchmal aus Scham. Oder weil wir uns ertappt fühlen, Rohstoffe achtlos entsorgt, also einfach weggeworfen zu haben. Und dann kommen die Flaschensammler und zeigen uns - ja was eigentlich? Die Auswüchse unserer Wegwerfgesellschaft? Die zunehmende Armut und Altersarmut in einem der reichsten Länder dieser Welt? Die inakzeptable Verteilung von Besitz?

Flaschensammler stellen uns unausgesprochen schon deshalb diese Fragen, weil sie augenscheinlich keine Randerscheinung sind. Im Gegenteil, sie leben und sammeln mitten unter uns und werden inzwischen dem festen Personal der Innenstädte zugerechnet. Dabei ist das, was sie tun, eigentlich illegal. Vielerorts ist das Durchwühlen der Abfallbehälter nämlich verboten. Auch darum hat ein Kölner Designer eine Art Pfandring entworfen, der um die Tonnen gelegt und mit Flaschen munitioniert werden kann. Pfandgut to go also.

Logistisch mag das keine schlechte Idee sein, doch idealistisch ist diese Erfindung der Beleg, dass wir uns mit dem Los der Sammler längst abgefunden haben. Ohnehin ist damit begonnen worden, die Sammler auch soziologisch zu begreifen und in Typen zu fassen: Demnach gibt es den Routensammler, der immer die gleichen Wege abschreitet und Mülltonnen aufsucht. Und es gibt den sogenannten Veranstaltungssammler, der bei Events aller Art vom Müll der Besucher zu profitieren sucht. Reich wird damit natürlich keiner, es langt nicht einmal zum Lebensunterhalt. Maximal 150 bis 200 Euro lassen sich monatlich mit Flaschensammeln verdienen.

Aber es geht nicht ausschließlich ums Geld. Es gibt Flaschensammler, die nicht einmal auf Sozialleistungen angewiesen sind. Die sich ausstatten mit Kopflampen, die Handschuhe tragen und völlig unauffällig gekleidet sind. Diese Flaschensammler nehmen die Stigmatisierung in Kauf, um dies zu finden: eine Struktur für ihren Tag, eine Aufgabe, die - mit gewissem Ernst und Aufwand betrieben - irgendwie noch an Arbeit erinnert. Am Ende eines solchen Tages der Lebensteilhabe steht dann die Lohnauszahlung; und auch die ereignet sich im öffentlichen Raum: an den Pfandautomaten der Supermärkte. Dass sie diese dann ungehörig lange blockieren und somit den Unmut der Feierabendeinkäufer auf sich ziehen, stört sie wenig, schließlich ist dies der Ausweis ihrer Tagesleistung.

Flaschensammler stehen somit für die verzweifelte Suche nach Arbeit und Lebenssinn. Das gesammelte Pfand ist eine einzige Flaschenpost - als Hilferuf einsamer Menschen.

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(RP)
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