Kolumne: Gott Und Die Welt Die Bären sind los und werden abgeschossen

Warum trauert eine ganze Gesellschaft, wenn ein geflohener Bär erschossen wird? Schließlich sind diese Tiere nicht allein die Opfer der Jäger, sondern vor allem unserer Zivilisation.

Die Bären sind los - vor allem in Kinder- und Jugendbüchern. Wer seine Geschichte niedlich tönen will, lässt eins der zotteligen Tiere auftreten, und bevor es grimmig erscheinen kann, wird es gern als klein bezeichnet. Und so wimmelt es in den Geschichten von kleinen Bären, die einkaufen gehen, bei der Feuerwehr heldenhaft agieren oder nachts nicht schlafen können.

Wenn aber die richtigen Bären einmal richtig los sind, verfallen ganze Gesellschaften in einen prekären Zustand. Aus Helikoptern wird das Tier dann verfolgt, Jäger werden in Stellung gebracht und nach empörten Zwischenrufen gutmeinender Menschen gegen Ärzte mit Narkoseflinten ausgetauscht. Die Gefahr für uns ist dann groß, übertroffen lediglich von der Größe unseres ethisch geschulten Geistes, doch bitte auch das Leben des Tieres zu schonen. In den meisten Fällen gelingt das nicht.

Wie auch jüngst in der Nähe des italienischen Gardasees, wo die Bärenmutter Daniza die Narkose aus einem Betäubungsgewehr nicht überlebte. Daraufhin hat sich ein Bürgermeister aus der Region im sozialen Netzwerk Facebook empört, Tierschützer sprechen von "Hexenjagd", Politiker fordern im Kurznachrichtendienst Twitter Konsequenzen.

Bei aller Empathie für das vielleicht unnötige Leiden dieser Tiere - so stimmt die Heftigkeit der Reaktionen nachdenklich. Schließlich sind wir es, die den Bären in Europa aus eigenem Interesse die Lebensgrundlage entzogen haben. Der letzte deutsche Braunbär soll 1835 in Ruhpolding erlegt worden sein: weil die Tiere erst der zunehmenden Besiedlung und Kultivierung großer Landstriche im Wege waren, später dann dem Sicherheitsbedürfnis der Touristen nicht mehr entsprachen. Unsere Welt ist eine von Menschen eroberte und für den Menschen gestaltete. Das kann man mehr als nur beklagen. Allerdings darf man dann nicht der Illusion erliegen, mit dem Auto auf mehrspurigen Straßen flugs in die Alpen fahren und dort in fußläufiger Reichweite unberührte Natur erleben zu können. Diese Wirklichkeit ist fast immer eine gemachte Wirklichkeit. Denn die Natur ist eine Idylle.

Im 19. Jahrhundert haben wir mit dieser Verklärung begonnen, zu einer Zeit also, da es den Bären an den Kragen ging. Versuche, die Tiere auszuwildern und in begrenzten Gebieten wieder heimisch werden zu lassen, sind nicht einmal Reparaturen. Sie dokumentieren aber den großen und unwiederbringlichen Schaden, den wir der Welt zugeführt haben.

Unsere Tränen sind manchmal Krokodilstränen und unsere Trauer ein Produkt kindlicher Bären-Verniedlichung.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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