Kampagnenflut in England Presse veröffentlicht Namen englischer Freier

London (dpa). Mr. Green ist auf dem Straßenstrich gewesen. Das wissen jetzt nicht nur seine Familie, sein Chef, seine Kollegen und Freunde - das weiß nun jeder in Großbritannien, der Zeitung liest. Denn seit diesem Mittwoch druckt der "Manchester Evening Standard" in Zusammenarbeit mit der Polizei Namen, Adressen und Fotos aufgegriffener Freier ab.

"Diese Sache wird mich ruinieren", sagte Green der "Times". "Ich sehe ja ein, dass ich eine Dummheit begangen habe, aber ich hatte doch keine Ahnung, dass all meine persönlichen Angaben für die Öffentlichkeit freigegeben werden würden."

Ein anderer der zunächst acht in Manchester an den Pranger gestellten Männer hatte beim Gerichtstermin auf die Frage nach seiner Adresse noch vorsichtig einen Zettel rübergeschoben. Die anwesende Presse sollte nicht erfahren, wo er wohnte. Doch der Gerichtsdiener las die Adresse laut ab. "Kommt das jetzt in die Zeitung?" fragte der Beschuldigte ängstlich. "Das ist nicht Sache des Gerichts", lautete die kurze Antwort. Doch am Mittwoch stand er in der Zeitung.

Chefredakteur Paul Horrocks bekennt sich stolz dazu, von Anfang an für die Aktion gewesen zu sein. In der Innenstadt gebe es ein "ernsthaftes Problem" mit dem Straßenstrich, sagt er. "Unschuldige Frauen" würden belästigt, "das ist ein öffentliches Ärgernis". Polizei-Inspektor Mike Schofield, der Leiter der Kampagne, ist sich sicher: "Wenn die Leute wissen, dass ihr Name an die Öffentlichkeit kommen kann, wirkt das abschreckend."

"Name and Shame"

"Name and Shame" - Nennen und Beschämen - heißen solche Kampagnen. In England, wo es kein Strafgesetzbuch gibt, sondern nur Präzedenzfälle, ist der Schutz der Privatsphäre nirgendwo festgeschrieben. Es gibt nur unverbindliche Abmachungen zwischen den Verlegern und dem britischen Presserat. Premierminister Tony Blair beschwerte sich in den vergangenen Wochen mehrmals über den Abdruck von Fotos seiner Kinder.

Doch die Presse hatte dafür nur Spott übrig: "Dies ist das Bild, von dem Tony Blair nicht will, dass Sie es sehen", titelte eine der seriöseren Zeitungen. Wenn es um Straftaten geht, kommt jeder Verdächtige gleich mit vollem Namen und Foto ins Blatt. Mehrspaltig druckten am Mittwoch etwa der konservative "Daily Telegraph" und der linksliberale "Independent" Fotos der Angeklagten im Neonazi-Prozess von Dessau.

Es trifft auch Unschuldige

Viele Unschuldige fanden sich schon mit allen persönlichen Angaben auf der Titelseite von "Sun", "Daily Star" oder "Sunday People": Angebliche Mörder und "Monster", die noch am Tag der Veröffentlichung von der Polizei wieder freigelassen wurden ("Verdacht nicht erhärtet") oder auch Politiker, die nach Ansicht der Blätter zur "Schwulenmafia" gehören und damit die Stabilität des Staatswesens untergraben.

Die verheerendste Kampagne startete im vergangenen Monat das Sonntagblatt "News of the World": Nachdem ein kleines Mädchen vergewaltigt und ermordet worden war, druckte die Zeitung Namen, Adressen und Fotos verurteilter Kinderschänder ab. Schon nach einigen Tagen wurden die ersten Häuser gestürmt. Der Mob ging auf die Jagd nach "Perversen", trieb Pädophile in den Selbstmord, zwang völlig Unschuldige dazu, ihren Wohnort zu wechseln. Politiker erwägen nun das Blatt zu verklagen - wegen öffentlicher Unruhestiftung.

(RPO Archiv)
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