Steigende Zahlen Angespannte Corona-Lage in den Niederlanden

Amsterdam · Während die Menschen noch die wiedergewonnenen Freiheiten genießen, steigen Infektions- und Krankenhauszahlen an. Den Niederlanden steht ein ungewisser Herbst bevor.

Masken sind in den Niederlanden in der Öffentlichkeit kaum noch zu sehen (Archivfoto).

Masken sind in den Niederlanden in der Öffentlichkeit kaum noch zu sehen (Archivfoto).

Foto: dpa/Peter Dejong

Auf einmal sind sie wieder da, die finsteren Aussichten und bangen Prognosen. „Wieder ein Winter mit Sperrstunde und Schul- Schließung?“ fragt die Tageszeitung Het Parool am Mittwoch. „Müssen wir uns vor einem langen, dunklen Corona- Winter fürchten?“ Das Algemeen Dagblad zitiert Iwan van der Horst, Intensivmediziner am Maastrichter Universitäts-Krankenhaus MUMC. „Es ist echt noch nicht vorbei. Werden wir erst handeln, wenn es wieder zu spät ist?“ Es scheint in diesen Tagen, als seien mit dem trüben Wetter in den Niederlanden auch die Gespenster der Vergangenheit zurückgekehrt.

Genau dort nämlich hatten viele die Corona-Krise verortet. Den rasanten Anstieg der Infektionszahlen im Juli bekam man mit der Schließung der Clubs schnell unter Kontrolle. Das Abschaffen der verhassten Anderthalb-Meter-Abstands-Regel Ende September fühlte sich dann auch an wie das offizielle Ende der Pandemie. Die Innenstädte sind wieder voll, auf den Autobahnen staut es sich wie früher, und am Flughafen Schiphol reisten vor wenigen Tagen noch mehr Menschen in die Herbstferien als zu Vor-Corona- Zeiten.

Inzwischen liegen die durchschnittlichen täglichen Neu-Infektionen wieder bei knapp 3.700 – rund doppelt so hoch wie Ende September, nach dem Abschied von den meisten Corona-Maßnahmen. Am Dienstag waren es fast 4.000. Langfristige Daten zeigen den ersten nennenswerten, steilen Anstieg der Kurve seit Juli. Einerseits ist ein solcher Effekt zu erwarten, beim Aufheben essentieller Eckpunkte der Virus-Bekämpfung, zumal wenn dies mit dem Ende der Freiluft-Saison zusammenfällt. Zugleich deuten Grafiken auf eine neue Welle hin. Die Frage ist, wie weit diese reichen und wann sie ihren Höhepunkt erreichen wird.

Das RIVM sprach vor Wochenfrist noch von einer „erwarteten Herbst-Zunahme“. Zugleich analysierte das Outbreak Management Team (OMT), das die Regierung seit dem Beginn der Pandemie berät, die Virus-Prognose für den Herbst und Winter sei auf Basis seiner Statistiken „ungünstiger als gedacht“. In einer schriftlichen Stellungnahme ist von einem „größeren Maß an Unsicherheit“ bezüglich der Entwicklung die Rede. Dabei sei „auch eine starke Zunahme von Krankenhaus- und Intensiv-Station- Aufnahmen nicht ausgeschlossen“.

Just diese Tendenz ist inzwischen deutlich sichtbar. Zu Wochenbeginn lagen 610 Covid-Patienten in niederländischen Krankenhäusern, darunter 146 auf Intensivstationen. Die Zahl der Neuaufnahmen war mit 51 so hoch wie seit Ende April nicht mehr. Am Wochenende gab es eine erste Hiobsbotschaft: Das Isala-Krankenhaus in Zwolle musste Operationen verschieben und drei Covid-Patienten in die Region Rotterdam verlegen. Wie in zahlreichen anderen Kliniken ist man auch dort noch damit beschäftigt, die Rückstände der vergangenen Covid-Wellen aufzuholen.

Wie angespannt die Lage ist, zeigt ein Schreiben des Radboud-Krankenhauses der Universität Nijmegen, das dieses am Dienstag auf seiner Website veröffentlichte. „Der Unterschied mit vorherigen Wellen ist, dass die reguläre Versorgung damals nicht weiterlief, was nun der Fall ist. Außerdem ist nun weniger Personal verfügbar, sodass wir nicht mehr Patienten aufnehmen können.“ Der Mangel an IC-Personal gehe auf hohe Abwesenheit durch Krankheit zurück. Ein Anzeichen dafür, dass die verbreitete Annahme nun im Post-Corona-Zeitalter zu leben, im medizinischen Sektor gänzlich anders erfahren wird.

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Foto: Miserius, Uwe (umi)

Diederik Gommers, der Vorsitzende der landesweiten Vereinigung von Intensiv-Medizinern, warnt davor, noch mehr Corona-Maßnahmen zu erleichtern. Zugleich sagt er, für neue Beschränkungen sei es noch zu früh, so der öffentlich-rechtliche Rundfunksender NOS letzte Woche. Gommers ist eines der prominentesten Mitglieder des OMT. Laut dessen jüngsten Berechnungen werden in den kommenden Monaten 4.800 Personen auf Intensivstationen landen, statt wie zuvor angenommen 2.200 bis 3.400. Einen Höhepunkt von 400 Intensiv-Patienten zugleich könne das System aber nicht auffangen.

Im Alltag ist von größerer Besorgnis derweil noch wenig zu merken. Von der Lockdown-kompatiblen Ellbogen-Begrüßung sind viele Niederländer inzwischen über die geboxten Fäuste wieder beim altbekannten Händeschütteln gelandet. Jaap van Dissel, der RIVM-Chef, schätzt die Aussicht Geschäfte und Schulen zu schließen für „nicht reell“, meldet das Algemeen Dagblad am Mittwoch. Er beruft sich auf die Impfquote von 83,2 Prozent der Erwachsenen, die beide Dosen empfangen haben. „Eine prinzipiell andere Situation als vor einem Jahr.“

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