Letztes Geleit für Intensivtäter Riesiger Trauerzug für erschossenen Berliner Kriminellen

Berlin · Das Leben von Nidal R. hätte dem Drehbuch zu „4 Blocks“ entstammen können - der Drama-Serie über kriminelle Clans in Berlin. Doch es war bis zum Ende Realität. Seine Beerdigung war ein großer Treffpunkt für Familie, Freunde - und die Polizei.

 Trauergäste bei der Beerdigung von Nidal R. in Berlin.

Trauergäste bei der Beerdigung von Nidal R. in Berlin.

Foto: dpa/Paul Zinken

Es ist schon ein etwas seltsames Bild, wenn 150 Polizisten in Berlin die Beerdigung eines stadtbekannten Kriminellen bewachen. Viel Aufmerksamkeit für Nidal R., Mitglied eines arabischstämmigen Clans. Bis zu 2000 Trauergäste strömen am Donnerstag zur Bestattung des 36-Jährigen auf den Schöneberger Friedhof. Er war am Sonntag mitten am Tag nahe dem Tempelhofer Feld niedergeschossen worden.

Vor allem Männer kommen zur Trauerfeier. So viele Menschen bei einer Beisetzung seien eher ungewöhnlich, sagt Bertram von Boxberg von der Zwölf-Apostel-Kirchgemeinde. Ein Sicherheitsdienst wurde zusätzlich bestellt, die Männer tragen Schutzwesten. Alles ohne Störungen, meldet die Polizei dann gegen Mittag erleichtert. Nach islamischem Ritus liegt der Leichnam schließlich in Tücher gehüllt in der Erde, wie ein Kirchenmitarbeiter berichtet. Beim Verabschieden vor dem Friedhof demonstrieren viele Männer, darunter Clan-Größen nicht nur aus Berlin, Verbundenheit - Schulterklopfen, Händeschütteln, Küsschen.

Clanmitglied, Intensivstraftäter, Häftling, Familienvater: Für das Leben von Nidal R. gab es je nach Perspektive verschiedene Charakterisierungen. Mit Sicherheit verbürgt ist das letzte Kapitel: Am 9. September wurde er am helllichten Tag mitten in Berlin angeschossen - vor den Augen seiner Familie. Wenig später starb er im Krankenhaus.

Schüsse beim Sonntagsspaziergang nahe einem beliebten Park - das ist für die Hauptstadt eine neue Dimension von Gewalt. Die Hintergründe aber sind noch unklar. Ein Clan-Krieg? Ein privater Racheakt? Oder werden Reviere der Kriminellen neu abgesteckt?

Die Täter, die aus nächster Nähe acht Kugeln auf ihr Opfer feuerten, flüchteten und sind bislang nicht gefasst. Das Fluchtauto wurde ausgebrannt entdeckt. Die Ermittler gehen von drei Tätern aus. Damit ist das Kapitel Nidal R. nicht abgeschlossen. Insider sehen die tödliche Attacke auch als Signal an die Szene: Sie rechnen mit Racheakten.

Denn die Tat wirft erneut ein Schlaglicht auf kriminelle Clans in der Hauptstadt. Auch wenn die Polizei sie nicht so nennt. „Wir ermitteln nicht gegen Familien, sondern gegen Straftäter“, betont Sebastian Laudan, Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität im Landeskriminalamt. Immer wieder geht es um Geldwäsche, Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Menschenhandel und Korruption. Allein im vergangenen Jahr richteten sich 14 der 68 größeren Ermittlungsverfahren zur organisierten Kriminalität gegen Banden mit arabisch-libanesischstämmigen Mitgliedern.

Es geht um Macht, viel Geld und Einfluss. Mit Sorge registrieren die Behörden auch eine „Tendenz zur Bewaffnung“, ergänzt Laudan. Doch der Druck auf die Banden wachse. Erst im Juli gelang den Ermittlern ein spektakulärer Schlag: Sie beschlagnahmten Wohnungen, Häuser und Grundstücke in Berlin und dem Umland mit einem Gesamtwert von 9,3 Millionen Euro. Auch danach gab es mehrere Aktionen, bei denen Waffen und Drogen eingezogen wurden. Für die Szene wird es ungemütlicher.

Fernsehserien wie „4 Blocks“ haben das Leben krimineller Gangs in Berlin fiktionalisiert. Von der Realität ist dieses Szenario aber vielleicht nicht so weit entfernt. In bestimmten Bezirken sollen Gangs - zwischen 12 und 20 teils kriminelle Großfamilien - Straßen unter sich aufgeteilt haben. Das Problem ist aber nicht auf Berlin beschränkt. Auch im Ruhrgebiet, in Niedersachsen und in Bremen sind die oft weit verzweigten Clans aktiv.

Nidal R. galt als Teil solcher Netzwerke, aber nicht als Führungsfigur oder Vordenker. Schon vor seinem Tod war über ihn eine Menge öffentlich bekannt - wenig Gutes. Im Libanon geboren soll er in Berlin bereits im Alter von zehn Jahren erste Straftaten begangen haben. Seit er mit 14 strafmündig wurde, stand er immer wieder vor Gericht. Aus Gründen des Jugendschutzes wurde unter dem Namen „Mahmoud“ über ihn berichtet. Die Anklagen lauteten auf Körperverletzung, Raub, Bedrohung, Nötigung, Drogendelikte, Fahren ohne Führerschein, Gefährdung des Straßenverkehrs, Unfallflucht. Es gab Dutzende Ermittlungsverfahren.

In der Hauptstadt galt Nidal R. schnell als „Intensivtäter“. Seine kriminelle Karriere war sogar Auslöser für die Staatsanwaltschaft, eine Spezialabteilung für Jugendliche zu gründen, die immer wieder schwere Straftaten begehen. Für Nidal R. hatte das auch immer wieder Folgen. Er verbrachte viele Jahre hinter Gittern - mehr als ein Drittel seines Lebens. Eine Abschiebung in den Libanon scheiterte wegen ungeklärter Staatsbürgerschaft.

Nidal R. lebte gefährlich. Schon früher war auf ihn geschossen worden. Die Polizei hatte ihn weiter im Blick. Sie soll den 36-Jährigen sogar vor einem Anschlag gewarnt haben.

(rls/dpa)
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