Sechsjähriger wurde erstochen Die Frage nach dem Warum – 14-Jähriger schweigt

Update | Pragsdorf/Neubrandenburg · Nach dem gewaltsamen Tod eines Sechsjährigen wurde ein 14-Jähriger aus demselben Dorf verhaftet. Bisher schweigt er. Das macht die Suche nach dem Motiv nicht leichter.

Bilder der Pressekonferenz zur Gewalttat in Neubrandenburg​
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Foto: dpa/Jens Büttner

Nach der Festnahme eines Tatverdächtigen im Fall des getöteten sechsjährigen Joel in Pragsdorf bei Neubrandenburg suchen die Ermittler nun nach dem Motiv für die Tat. Der erst 14-jährige Tatverdächtige schwieg nach seiner Verhaftung am Dienstag, wie die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern berichtete. Bei der Vorführung beim Haftrichter machte er - wie schon vorher auch - auf Anraten seines Anwaltes keine Angaben.

Für die Polizei ist der Einsatz in Pragsdorf noch nicht zu Ende. „Wir werden verstärkt im Dorf präsent sein“, sagte Polizeipräsident Thomas Dabel. Man wolle zur Beruhigung beitragen. Zur Lösung der Frage nach dem Warum der Tat hieß es, man hoffe, dass der Tatverdächtige doch noch etwas sage.

Nun wird die Kleidung des Jugendlichen genauer analysiert. Spezialisten des Landeskriminalamtes suchen nach Spuren, die mit dem Verbrechen an dem Sechsjährigen zusammenhängen, wie eine Polizeisprecherin am Mittwoch in Neubrandenburg sagte.

Zwei Polizisten gehen zu der Stelle in unmittelbarer Nähe des Sees in Pragsdorf, wo der Sechsjährige am 14.09.2023 mit schwersten Stichverletzungen gefunden wurde, an denen er später verstarb.

Zwei Polizisten gehen zu der Stelle in unmittelbarer Nähe des Sees in Pragsdorf, wo der Sechsjährige am 14.09.2023 mit schwersten Stichverletzungen gefunden wurde, an denen er später verstarb.

Foto: dpa/Bernd Wüstneck

Bei der Festnahme am Dienstag gab es auch eine weitere Durchsuchung, bei der unter anderem Kleidung beschlagnahmt wurde. Der 14-jährige Tatverdächtige schweigt nach Angaben der Staatsanwaltschaft bisher zu den Vorwürfen. Er soll außerdem von einem Experten psychiatrisch begutachtet werden, kündigte Oberstaatsanwalt Tim Wischmann an. Von dieser Einschätzung hänge unter anderem ab, ob die Straftat als Totschlag eingestuft wird, wie bisher, oder ob die Tat als Mord angeklagt wird.

Der mutmaßliche Täter soll schon vorher im Ort durch aggressives Verhalten vor allem gegenüber kleineren Kindern aufgefallen sein.

Inzwischen gibt es psychologische Hilfe in der Schule des Tatverdächtigen. Seit Dienstag helfe der Zentrale Fachbereich für Diagnostik und Schulpsychologie (ZDS) der Schule, teilte das Bildungsministerium von Mecklenburg-Vorpommern mit. „Eine psychologische Beratung für Schülerinnen, Schüler, Lehrkräfte und Eltern vor Ort ist abgesichert.“ Auch eine zentrale Hotline stehe zur Verfügung.

Der erfahrene 57-jährige Leiter der Mordkommission Olaf Hildebrandt in Neubrandenburg zeigt sich am Dienstag stark erschüttert, als er über den gewaltsamen Tod des sechsjährigen Joel aus Pragsdorf spricht. Solch einen Fall hatte er noch nie

Das Kind wurde am 14. September „mit großer Brutalität getötet“, beschreibt Hildebrandt. Er spricht von „stumpfer und spitzer Gewalt.“ Der Junge wurde erstochen. Das Motiv des 14-jährigen Verdächtigen ist noch unklar.

Die Nachricht von der Festnahme des Jugendlichen, dessen Familie auch in Pragsdorf wohnt, sorgte am Dienstag erst für Erleichterung bei den Dorfbewohnern, dann für neue Fragen. „Was geht in einem Menschen vor, dass er einen Sechsjährigen tötet?“, fasste es Pragsdorfs Bürgermeister Ralf Opitz zusammen.

Der 14-jährige Deutsche wurde am Dienstagvormittag in der Wohnung der Familie in Pragsdorf festgenommen. Zur Schule war er offenbar nicht mehr gegangen. Kurz danach kam er wegen des Verdachts auf Totschlag in Untersuchungshaft. Bei der Vorführung beim Haftrichter machte der 14-Jährige - wie schon vorher auch - auf Anraten seines Anwaltes keine Angaben. Der Richter bestätigte aber den „dringenden Tatverdacht“, wie eine Sprecherin des Amtsgerichtes sagte.

Der Sechsjährige war am 14. September mit zwei Geschwistern zum Spielen ins Dorf gegangen, wo sie den 14-Jährigen trafen, sagte der Ermittler Olaf Hildebrandt. Alle kannten sich aus dem dörflichen Umfeld. Joels Geschwister gingen nach Hause, so dass nur der Sechsjährige und der 14-Jährige noch da blieben.

Als der als zuverlässig geltende Junge nicht zur vereinbarten Zeit nach Hause kam, meldeten die Eltern ihn als vermisst. Abends wurde er von Feuerwehrleuten mit schwersten Stichverletzungen in einer Hecke am Bolzplatz gefunden. Er lag bewusstlos in einem Versteck, das sich die Kinder dort gebaut hatten. „Der Fundort war wohl auch der Tatort“, sagte der Chefermittler. Alle Versuche, den massiv verletzten Jungen wiederzubeleben, blieben erfolglos.

Die Polizei suchte sofort mit großem Aufgebot nach der Tatwaffe, einem Messer. Schon damals war der Verdächtige Ermittlern aufgefallen. Den Polizisten wurde bekannt, dass dieser vorher durch aggressives Verhalten gegenüber Kindern in dem Ort aufgefallen war. Eine Durchsuchung in der Wohnung der Familie wegen der Tatwaffe brachte aber nicht die nötigen Beweise. Das Messer wurde später in einem Gestrüpp gefunden.

Nun führten kriminaltechnische Untersuchungen des Landeskriminalamtes zum Durchbruch, wie Oberstaatsanwalt Tim Wischmann sagte. Am Griff des Messers seien DNA-Mischspuren gefunden worden, die dem Opfer und dem Verdächtigen zugeordnet werden konnten. Zuvor hatte sich der 14-Jährige auch verdächtig gemacht, weil klar wurde, dass er der letzte Mensch war, der Joel lebend am Bolzplatz gesehen hatte und sich dann bei Befragungen in Widersprüche verstrickte, hieß es.

Das reichte dem Amtsgericht: Es erließ den Untersuchungshaftbefehl. „Das ist bei einem 14-Jährigen nicht selbstverständlich“, sagte der Oberstaatsanwalt. Der Jugendliche kam in die Jugendhaftanstalt nach Neustrelitz.

Pragsdorfs Bürgermeister Ralf Opitz war froh über den Ermittlungserfolg. „Das ist erst mal eine Erleichterung für alle Bewohner, aber Fragen bleiben“, sagte er. Im Ort erinnern an zwei Stellen Trauerkerzen und Plüschtiere an den Getöteten.

Für die Polizei ist der Einsatz noch nicht zu Ende. „Wir werden verstärkt im Dorf präsent sein“, sagte Polizeipräsident Thomas Dabel. Man wolle zur Beruhigung beitragen. Für die Staatsanwaltschaft geht die Ermittlungsarbeit auch weiter. So soll der Tatverdächtige noch psychologisch begutachtet werden. Davon hänge auch ab, ob die Tat doch noch als Mord eingestuft werden muss. Man hoffe aber auch, dass der 14-Jährige von allein rede.

Dieser Artikel wurde aktualisiert.

(kalux/jh/ldi/AFP/dpa)
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