Prominente Kunden bei der Vernehmung Mordfall Nitribitt: Polizeiakten gefunden

Frankfurt/Düsseldorf · Vor 56 Jahren wurde Rosemarie Nitribitt ermordet, die wohl bekannteste Prostituierte der damaligen Zeit. Der Fall ist bis heute ungeklärt. Jetzt sind 22 Bände mit Vernehmungen aufgetaucht, darunter auch einige prominente Kunden .

Gunter Sachs, Student und Millionenerbe, späterer Gatte von Brigitte Bardot, schilderte der Frankfurter Polizei detailliert, wie der Samstagnachmittag im November 1956 mit Irene und "Rebecca" in deren Frankfurter Wohnung nach der etwas langweiligen Geburtstagsfeier im Hause der Industriellenfamilie Quandt verlaufen war.

"Rebecca" war der Tarnname von Rosemarie Nitribitt, die 1957 im Alter von 24 Jahren ermordet wurde und nach ihrem Tod vor allem aufgrund ihrer illustren Kundschaft zur bekanntesten Prostituierten der jungen Bundesrepublik wurde.

Die Aussage von Gunter Sachs, der sich vor zwei Jahren das Leben nahm, ist nun zusammen mit Aussagen weiterer prominenter Nitribitt-Kunden — darunter Sachs' Bruder Ernst, der Industrielle und Goebbels-Stiefsohn Harald Quandt und Krupp-Sohn Harald von Bohlen und Halbach — sowie dem Wohnungsschlüssel Nitribitts wieder aufgetaucht.

Die Akten, die lange als verschollen galten und Anlass zu zahlreichen Spekulationen um den bis heute unbekannten Täter boten, lagerten jahrelang im Archiv der Frankfurter Polizei.

Der "Focus" veröffentlicht in seiner heutigen Ausgabe erstmals Fotos und Details aus den Vernehmungsunterlagen, die im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren der Frankfurter Staatsanwaltschaft wiedergefunden wurden.

Neuen Aufschluss darüber, wer die Prostituierte mutmaßlich am 1. November 1957 in ihrer Wohnung erwürgt haben könnte, geben die Papiere nicht. Doch viele Aussagen, die bislang in anderen Unterlagen zitiert wurden, liegen nun zum ersten Mal im Original vor.

Harald Quandt erklärte demnach bei der Polizei, er habe Nitribitt mehrfach in Frankfurt besucht, wenn seine Frau nicht zuhause gewesen sei: "Unsere Unterhaltung drehte sich zu Beginn um ein lustiges Buch. Ich stellte fest, dass die Unterhaltung mit ihr nicht besonders fruchtbar war, und richtete sie nun auf ein sexuelles Erlebnis mit ihr."

Als Hauptverdächtiger galt den Ermittlern laut der vom "Focus" zitierten Unterlagen lange Harald von Bohlen und Halbach, der erst 1955 aus sowjetischer Kriegsgefangeschaft zurückgekehrt und mit zehn Millionen Mark für seinen Ausschluss vom Krupp-Erbe entschädigt worden war. Er schickte romantische Gedichte (ihre Brüste nannte er "mondscheinblasse Blütenhügel"), Grußpostkarten und teure Geschenke.

Kennengelernt hatte Rosemarie Nitribitt ihn wie so viele ihrer vermögenden Freier, indem sie ihn auf offener Straße aus ihrem schwarzem Mercedes 190 SL heraus ansprach. Das teure Cabriolet mit roten Ledersitzen gehörte ebenso wie ein weißer Pudel zu ihrer Inszenierung, mit der sie unabhängig von Zuhältern rund um den mondänen "Frankfurter Hof" nach zahlungskräftigen Kunden suchte — in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Ihre Kindheit und Jugend hatte Rosalie Marie Auguste Nitribitt, geboren am 1. Februar 1933 in Ratingen oder Düsseldorf, in Pflegefamilien und furchtbaren Heimen verbracht. Der Vater war unbekannt, die Mutter, eine 18-jährige Düsseldorfer Putzfrau, wurde von den Nazis als "schwachsinnig" eingestuft. Mit elf Jahren wurde das Kind zum ersten Mal vergewaltigt, mit 13 Jahren begann sie, sich zu prostituieren.

Offenbar hoffte sie, Harald von Bohlen und Halbach würde sie heiraten. Nachdem sie ihn im März 1957 angesprochen hatte, traf sie sich mit ihm zehnmal in ihrer Frankfurter Wohnung, offenbar auch noch kurz vor ihrer Ermordung. Auf einer angebrochenen Flasche Wein finden sich seine Fingerabdrücke.

In den vom "Focus" zitierten Unterlagen halten die Beamten des Erkennungsdienstes fest: "Die an der Flasche Beaujolais gesicherten Teilhandflächenspuren sind ohne jeden Zweifel mit dem oberen linken Teil der linken Handfläche des Herrn Harald von Bohlen und Halbach identisch."

Angestellte gaben dem Krupp-Sohn jedoch ein Alibi: Zwischen dem 28. und 31. Oktober habe er sich in Essen aufgehalten. Die Haushälterin seiner verstorbenen Mutter erklärte, sie hätte es gespürt, wenn er längere Zeit abwesend gewesen wäre.

Die Essener Mordkommission schloss sich dieser Einschätzung an. Es sei kaum glaubhaft, dass der Verdächtige "in den kritischen Nächten" unbemerkt nach Frankfurt gefahren sei.

Trotz eines Erpressungsversuchs durch den Nitribitt-Bekannten Heinz Pohlmann, der selbst zunächst als Verdächtiger galt, wurde Harald von Bohlen und Halbach in der Öffentlichkeit erst lange nach seinem Tod 1983 mit dem Fall Nitribitt in Verbindung gebracht.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort