Missbrauchsfall in Staufen Nach dem Missbrauch gab’s Burger

Freiburg · Das Landgericht Freiburg hat eine Mutter und ihren Lebensgefährten zu mehr als zwölf Jahren Haft verurteilt. Sie haben ihren Sohn über Jahre vergewaltigt und verkauft. Der Fall offenbart Versäumnisse von Justiz und Jugendamt.

 Berrin T. (links) und Christian L. (r.) wurden zu langen Haftstrafen verurteilt.

Berrin T. (links) und Christian L. (r.) wurden zu langen Haftstrafen verurteilt.

Foto: dpa/Patrick Seeger

Wer sich durch diesen Fall wühlt, dem dreht sich der Magen um. Da ist etwa der Schweizer, 37, aus Au bei St. Gallen. Mindestens dreimal hat er den heute zehnjährigen Jungen zwischen 2016 und 2017 vergewaltigt, ist dafür extra aus der Schweiz ins badische Staufen gereist. 50 Euro zahlte er der Mutter des Jungen, Berrin T., und deren Lebensgefährten Christian L. dafür. Der Schweizer gibt sich als Polizist aus, droht dem Kind, es müsse ins Heim, wenn es nicht gehorcht. Dann vergewaltigt er mit L. zusammen den Jungen. Als sie fertig sind, gehen alle gemeinsam in ein Fast-Food-Restaurant. Der Junge bekommt einen Cheeseburger.

Es ist dies nur ein geringer Teil des Martyriums, das der Junge zwei Jahre lang durchleben musste. Mindestens 58 Taten listete die Staatsanwaltschaft in der Anklage auf; die Vorwürfe: schwerer sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, schwere Zwangsprostitution, Erstellen und Verbreiten kinderpornografischer Schriften. Neben der Mutter des Jungen, Berrin T. (48), waren ihr Freund L. (39) sowie sechs Männer (zwischen 33 und 50) aus Deutschland, Spanien und der Schweiz angeklagt. Alle acht haben den Jungen vergewaltigt, die Taten gefilmt und die Filme im Darknet verbreitet.

Das Landgericht Freiburg hat in diesem Missbrauchsfall, den schlimmsten, den das Landeskriminalamt Baden-Württemberg je verzeichnet hat, nun die letzten Urteile gesprochen. Die Mutter muss zwölfeinhalb Jahre in Haft, L. zwölf Jahre und anschließend in Sicherungsverwahrung; er wird wahrscheinlich nie wieder freikommen. Das Staufener Paar muss außerdem 42.500 Euro Schmerzensgeld an den Jungen sowie ein weiteres Missbrauchsopfer, ein kleines Mädchen, zahlen. Die übrigen sechs Männer waren zuvor zu Haftstrafen zwischen sieben Jahren und drei Monaten und zehn Jahren verurteilt worden. Auch sie müssen Schmerzensgeld zahlen und teilweise ebenfalls in Sicherungsverwahrung.

Doch selbst wenn das Gericht die persönliche Schuld der Angeklagten nun festgestellt hat, bleiben in diesem monströsen Fall Fragen offen. Warum etwa konnte Christian L., ein wegen Missbrauchs vorbestrafter Pädophiler, so lange bei T. und ihrem Sohn leben? Wieso ist das Jugendamt Breisgau-Hochschwarzwald Hinweisen auf Misshandlungen des Jungen nicht weiter nachgegangen? Warum hat es die Hausbesuche bei T. eingestellt? Weshalb wird L. nicht schon bei seinem ersten Missbrauch 2010 in Sicherungsverwahrung geschickt? Und wieso haben das Familiengericht Freiburg und später das Oberlandesgericht Karlsruhe so lax über die Auflagen für das Zusammenleben zwischen T. und L. geurteilt? Kurz: Haben Justiz und Jugendamt versagt?

L., in Neuss geboren, wird 2005 erstmals mit kinderpornografischem Material erwischt und auf Bewährung verurteilt. 2010, als er wegen Missbrauchs eines 13-jährigen Mädchens zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wird, sagt die Richterin: „Sie haben eine zweite Chance verdient.“ Anfang 2015 werden L. und Berrin T. ein Paar. L. soll an T. kein sexuelles Interesse gezeigt haben, sich dafür umso stärker für ihren Sohn und die Tochter einer Bekannten interessiert haben. „Wenn ich nicht da bin, tobe dich aus“, soll T. ihrem Freund bei Whatsapp geschrieben haben. Bald aber missbrauchen die beiden den Sohn gemeinsam und bieten ihn im Darknet zum Missbrauch an. Erst im September 2017, als beim Bundeskriminalamt ein anonymer Hinweis eingeht, nehmen Spezialeinheiten der Polizei L. und T. fest. T. soll nach ihrer Verhaftung nach Zigaretten gefragt haben, nicht nach ihrem Sohn.

Im März 2017 gibt das Jugendamt den Jungen für vier Wochen in Obhut einer Pflegefamilie. Weil seine Mutter der Maßnahme widerspricht, kehrt er zu T. und L. zurück. Das Jugendamt habe keinerlei Anzeichen für einen Missbrauch gesehen, sagt ein Mitarbeiter. L. wird wieder verurteilt, weil er gegen das ihm auferlegte Kontaktverbot zu Kindern verstößt. Er legt Berufung ein, das Urteil wird nicht rechtskräftig. Der Missbrauch geht weiter. Das Familiengericht Freiburg verhandelt über die Inobhutnahme durch das Jugendamt, T. hatte dagegen geklagt. Die Richterin kennt die früheren Urteile gegen L. nicht, dafür aber ein Gefälligkeitsgutachten, das L. bescheinigt, ungefährlich zu sein. Das Gericht schickt den Jungen zurück zu T. mit der Auflage, dass L. sich nicht nähern dürfe. Das Oberlandesgericht Karlsruhe lockert die Auflagen später noch.

Das Jugendamt erfährt erst im März 2017, dass L. sich häufig bei T. und ihrem Sohn aufhält. Die Polizei wusste das ein knappes Jahr früher, teilte es dem Amt aber nicht mit. Umgekehrt gab das Jugendamt Hinweise der Mutter eines Klassenkameraden nicht weiter. T.s Sohn habe erzählt, er müsse sich zu Hause ausziehen und anschauen lassen. Den Mitarbeitern im Jugendamt erscheint das zu dünn, sie informieren weder Justiz noch die Ermittlungsbehörden. Das Amt stellt sogar die zuvor regelmäßig stattfindenden Hausbesuche bei Berrin T. ein. Ein Sachbearbeiter begründet das so: „Es gab keinen Grund.“

Wenn es den anonymen Hinweis an das BKA nicht gegeben hätte, liefe das Martyrium des Jungen womöglich noch heute. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, forderte daher im SWR die politische Aufarbeitung des Falls: Baden-Württemberg solle im Bundesrat etwa gesetzliche Fortbildungspflichten für Familienrichter vorschlagen.

(her)
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