Weltweit höchste Selbstmordrate Litauen: "Saufen ist das Problem"

Vilnius (rpo). Welch' ein trauriger Rekord: Litauen hat die höchste Selbstmordrate der Welt. In dem baltischen Staat nehmen sich auf 100.000 Einwohner jährlich 44 Menschen das Leben. Eine Expertin: "Saufen ist das Problem."

Die Rate ist mehr als doppelt so hoch wie der europäische Durchschnitt. Nach den Statistiken der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehören auch die baltischen Nachbarländer Lettland und Estland zu den Problemstaaten. Nach jahrelanger Tabuisierung beschäftigt das Thema Suizid nun die Politik im Baltikum.

"Saufen ist das Problem", sagt Ona Grimaliuskiene, Expertin im litauischen Gesundheitsministerium in Vilnius. Ihre Kollegin Onuta Davidoniene pflichtet ihr bei: "80 Prozent aller Selbstmorde in Litauen stehen im Zusammenhang mit Alkohol. Der Alkoholkonsum ist, besonders unter jungen Menschen in ländlichen Gegenden, außerordentlich hoch."

In den Dörfern sehen die Menschen keine Perspektiven. Die Jugendarbeitslosigkeit, etwa in Litauen, liegt bei knapp 30 Prozent. Die traditionelle Landwirtschaft geht zunehmend unter. Um die täglichen Existenzängste zu verwischen, greifen viele zur Flasche. Im vergangenen Herbst starben in Estland binnen weniger Tage mehr als 70 Menschen nach dem Konsum von gepanschtem Alkohol.

Vor allem Männer suchen den Freitod. Airi Varnak, Leiter des Estnisch-Schwedischen Suizid-Instituts in Tallinn, hat eine Erklärung parat: "Es ist nicht üblich hier für einen Mann, Hilfe zu suchen, wenn er Stress hat - damit würde er verwundbar aussehen, und deshalb wollen sie nicht sprechen."

Seitdem die baltischen Staaten vor elf Jahren ihre Unabhängigkeit wiedererlangt haben, gab es gewaltige Umwälzungen. Der einstmals sichere Arbeitsplatz im Sozialismus ist der täglichen Konkurrenz gewichen. Die Entwicklung der Selbstmordraten zeigt Parallelen zur wirtschaftlichen Entwicklung.

Nach Ansicht baltischer Experten könnte schon die Einrichtung telefonischer Notrufe und eine Einschränkung des Alkoholverkaufs helfen. Vor allem aber müssten diejenigen psychologisch betreut werden, die bereits Selbstmordversuche hinter sich haben. "Hilfe zu suchen und zu geben muss eine ganz normale Sache werden", fordert Elmar Racans, Experte im lettischen Gesundheitsministerium.

"In Lettland sterben mehr Bürger durch Selbstmorde als durch Verkehrsunfälle", fährt Racans fort. In Litauen mit seinen 3,5 Millionen Einwohnern will die Regierung ein Aktionsprogramm entwickeln, in Lettland hat das Parlament in der vergangenen Woche den nächtlichen Alkoholverkauf gesetzlich eingeschränkt. Und in Estland verweist man auf sinkende Selbstmordraten, nachdem psychologische Vorbeugungsprogramme angelaufen sind.

(RPO Archiv)
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