#MeToo Die offenen Fragen nach dem Depp-Heard-Prozess

Washington · Das Ende der #MeToo-Bewegung oder Schutz vor Verleumdung? Der Erfolg des Hollywood-Stars Johnny Depp im Prozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard wirft Fragen auf.

Amber Heard schuldig - Johnny Depp erhält 15 Millionen Dollar
13 Bilder

Amber Heard schuldig - Johnny Depp erhält über 10 Millionen Dollar

13 Bilder
Foto: AFP/EVELYN HOCKSTEIN

Jamie R. Abrams ergreift nicht Partei. Doch die Expertin für Missbrauchsklagen an der University of Louisville ist tief besorgt über den Ausgang eines Prozesses, in dem zwei Hollywood-Stars ihren Rosenkrieg vor Gericht zu einer Schlacht über den Umgang mit häuslicher Gewalt überführten. Betroffene würden künftig „noch mehr Angst haben, etwas zu sagen als vor Beginn der #MeToo-Bewegung", sagt die Professorin, die in der Praxis bereits Auswirkungen des sechswöchigen Gerichtsspektakels vor den Toren Washingtons sieht.

Das ist Johnny Depp
29 Bilder

Das ist Johnny Depp

29 Bilder
Foto: dpa/Michael Kappeler

Während Geld in diesem Fall keine Rolle gespielt habe, sei es für weniger betuchte Opfer von häuslicher Gewalt ein Problem, durch das bloße Androhen einer Verleumdungsklage zum Schweigen gebracht zu werden. Abrams verweist auf die Anwaltskosten und Gebühren, die in der Praxis bedeuteten, dass sich Opfer „30.000 Dollar leisten können, ihre Geschichte zu erzählen". Sie sei wegen des weltweit von Millionen Zuschauern verfolgten Prozesses bereits von Betroffenen um Rat gefragt worden. „Normale Leute in Kentucky, Mississippi und Louisiana behalten ihre Geschichten für sich", sagt Abrams der „Washington Post".

Und das ganz unabhängig von dem Verdikt der Jury zugunsten Johnny Depps (58), der sich nach sechs Wochen Verhandlungsdauer in fast allen Punkten durchgesetzt hat. Richterin Penny Azcarate hatte den sieben Geschworenen 24 Fragen zu Depps Verleumdungsklage vorgelegt, die diese am Mittwochnachmittag nach einigen rechts-technischen Verzögerungen eine nach der anderen mit „Ja" zugunsten des Klägers beantwortet hatten. Depp erhielt 15 Millionen Dollar Schadensersatz zugesprochen, fünf Millionen Dollar davon als Strafe für Heard.

Der mit seiner Rolle in „Piraten der Karibik" berühmt gewordene Schauspieler weilte während der Urteilsverkündigung in London. Dort hatte er als Gitarrist an der Seite des britischen Rockmusikers Jeff Beck drei Konzerte gegeben, inklusive einem, bei dem ihm Kate Moss, am Vorabend des Verdikts demonstrativ den Rücken stärkte. Das Model hatte während des Zivilverfahrens ausgesagt, ihr Ex habe sie zu keinem Zeitpunkt misshandelt.

Erleichtert war Depp dann aber schon, als sich die Nachricht vom Urteil wie ein Lauffeuer verbreitete. „Nach sechs Jahren haben mir die Geschworenen mein Leben zurückgegeben", frohlockte der Schauspieler. „Die Wahrheit wird nie vergehen."

Die ganz in schwarz gekleidete Heard hörte das Verdikt mit gesenktem Haupt im Gerichtssaal von Fairfax und kämpfte mit den Tränen. Sie erhielt zwei Millionen Dollar zugesprochen, weil Depps Anwalt Adam Waldman einige Dinge über sie gesagt hat, die aus Sicht der Jury nicht stimmten. Ein schwacher Trost für eine Frau, die sich anschließend „enttäuscht, traurig, unglücklich" zeigte. „Nicht nur für mich selbst, sondern für alle, die Opfer häuslicher Gewalt sind".

Im Zentrum der Klage stand ein Meinungsbeitrag Heards für die „Post". Darin trat die 2016 nach etwas mehr als einem Jahr Ehe von Depp geschiedene Schauspielerin (u.a. „Aquaman") als Fürsprecherin und Kronzeugin der #MeToo-Bewegung auf. Der mit der Bürgerrechtsorganisation ACLU abgestimmte Text enthielt Passagen, die ohne den Namen des Beschuldigten zu nennen, den Eindruck erzeugten, sie selbst sei von ihrem Ex misshandelt worden. „Vor zwei Jahren dann wurde ich zu einer Person des öffentlichen Lebens, die für häusliche Gewalt steht."

Depp sagte vor Gericht, diese siebzehn Wörter hätten seinem Ruf und seiner Karriere geschadet. Sein Anwalt Adam Waldman hielt der 36-jährigen Texterin „Missbrauchsschwindel" vor. Sie habe sich auf dem Höhepunkt der #MeToo-Bewegung als Opfer präsentiert, um seinem Klienten zu schaden.

In den zurückliegenden sechs Wochen hatten Depp und Heard vor dem US-Gericht noch einmal eine Menge schmutziger Wäsche gewaschen. Der Schauspieler räumte im Zeugenstand ein, in ihrer Beziehung habe es Streit gegeben. „Aber ich bin niemals an den Punkt gekommen, Miss Heard auf irgendeine Weise zu schlagen, noch habe ich jemals in meinem Leben eine Frau geschlagen".

Heard zeichnete dagegen das Bild eines Mannes, der unter Alkohol und Drogen die Kontrolle verlor. Ihr Anwalt zeigte unter anderem ein Handy-Video, in dem Depp auf Küchenschränke einschlägt und droht. „Diese Worte sind ein Fenster in das Herz und die Seele von Amerikas liebstem Piraten", verhöhnte Heards Anwalt den Kläger. „Dies ist der wirkliche Johnny Depp." Es gebe „überwältigende Beweise für Missbrauch".

Diese Sicht teilte der High Court in London, der 2020 eine erste Verleumdung-Klage gegen die britische Boulevard-Zeitung SUN 2020 abgewiesen hatten. Depp wollte damals Schadensersatz wegen der Behauptung des Blatts erstreiten, er sei ein Frauenschläger, der seine ehemalige Frau körperlich misshandelt habe. Experten erklären den entgegengesetzten Ausgang mit dem unterschiedlichen Rechtssystem. In England hätten Richter über Fakten entschieden, in den USA Geschworene über ein Narrativ.

Dieses war durch die TikTok, YouTube und dem Kabelsender „Law & Crime“ Network angeheizt worden. Der Rechtsstreit geriet so zu einem Großereignis der Pop-Kultur, wie einst der Prozess gegen O.J.Simpson. Mehr Zuschauersport als Rechtsfindung, wie Kritiker sagen. Daraus ging Heard als klare Verliererin hervor. Bis zur Urteilsverkündung klickten Nutzer mehr als neunzehn Milliarden Mal auf Links, die Häme über Heard verbreiteten. Schwer vorstellbar, dass den Geschworenen dies entging.

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass die Depp-Heard-Seifenoper in die nächste Staffel geht. Heard prüft dem Vernehmen nach, Berufung gegen das Urteil einzulegen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort