Provokation, Blödelei und investigative Recherche Das Prinzip Böhmermann

Analyse · Investigative Recherchen, kalkulierte Shitstorms und jetzt auch noch ESC-Pläne: Jan Böhmermann ist mehr als Moderator und Komiker, aus den Medien längst nicht mehr wegzudenken. Wie hat er das geschafft?

Wer ist Jan Böhmermann? Der ZDF-Satiriker und Moderator im Porträt
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Das ist Jan Böhmermann

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Foto: dpa/Christophe Gateau

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Zumindest dieser Definition nach wäre Jan Böhmermann das: ein deutscher Comedian, ein humoristischer Unterhaltungskünstler. Der sich höchstwahrscheinlich über diese Zuordnung schon wieder selbst lustig machen würde. Und es stimmt auch nicht, es wird ihm nicht gerecht, nicht allein jedenfalls. Jan Böhmermann, 42 Jahre alt, ist gelernter Lokaljournalist und Radiomoderator, gescheiterter Student, erfolgreicher TV-Autor, preisgekrönter Produzent und Late-Night-Talker; er singt, tanzt, schauspielert – und er nervt.

Zehn Jahre tut er das nun schon mit seiner Sendung „Magazin Royale“, zunächst auf ZDF Neo, seit 2020 freitagabends im Hauptprogramm des Zweiten Deutschen Fernsehens, und sowieso vor allem: im Internet. Auf Twitter folgen ihm 2,7 Millionen Menschen, auf Instagram sind es gut eine Millionen, auf Youtube hat seine Sendung 1,3 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten, pro Folge im Schnitt noch einmal genauso viele Aufrufe. Online ist er omnipräsent, immer wieder auch in den Feuilletons der Medienrepublik, so wie zuletzt mit seiner Dieter-Nuhr-Parodie.

Er hat den Deutschen Fernsehpreis gewonnen, mehrfach sogar, außerdem etliche Grimme-Preise. 2022 hat der Playboy Böhmermann zum „Mann des Jahres“ gekürt. Ob er daran denkt aufzuhören? Wohl kaum. Seine Themen sind vielfältig, seine Sendungen unerwartbar – und das Prinzip Böhmermann funktioniert.

Als ewigen Besserwisser betitelte die „Süddeutsche Zeitung“ den gebürtigen Bremer kürzlich. Dem kann man nur zustimmen, im besten Sinne allerdings: Jan Böhmermann weiß es nun mal besser. Und zwar bei allem möglichen: Ob Spielerberater im Fußballgeschäft, Lobbyismus im Bundestag, Polizeiermittlungen gegen Internethass, Qualität von Edel- und Biowein oder Haarwuchsmittel gegen Männerglatzen – seine Sendung seziert sämtliche Lebensbereiche, deckt Mängel auf, legt Finger in Wunden. Mit immer wieder erstaunlichen Erkenntnissen, die Böhmermann präsentiert, die aber natürlich ein ganzes Journalismus-Team im Hintergrund recherchiert. Spätestens an dieser Stelle muss klar sein, was oft durcheinandergeht: Das Prinzip Böhmermann meint nicht die Person Böhmermann, schon gar nicht die Privatperson.

Aber wie funktioniert es nun? Im Grunde gibt es ein System ohne erkennbare Systematik. Niemand könnte vorhersagen, was als nächstes kommt. In der einen Woche ist es die unangekündigte, komplett unmoderierte Parodie der Sendung „Nuhr im Ersten“, die im Böhmermann-Format „Nuhr im Zweiten“ heißt und äußerlich derart nah am Original ist, dass die inhaltlich feine Stichelei eher etwas fürs geschulte ZDF-Royale-Publikum ist. In der folgenden Woche geht es nahtlos weiter mit männlichen Minderwertigkeitsproblemen wegen erblich bedingten Haarausfalls. „Wie schädlich sind Kopfbälle für die Frisur?“, fragt Böhmermann in einem derart plumpen Witz über Fortuna Düsseldorf-Legende und Scheitelsträhnenträger Egon Köhnen, dass von seinem Satire-Genie wenig übrig scheint. Doch genau das macht Böhmermann, beziehungsweise seine Sendung aus: Mal ist es Klamauk, mal Meinungsmache; mal Investigation, mal Inszenierung. Nie greifbar – und doch immer mit einer Lektion.

Er sei „die Rache des Hanswurst“, erklärte Jan Böhmermann in einem seiner eher seltenen Interviews kürzlich. Er spielt damit auf einen Charakter aus dem Film „Komödianten“ des Exilanten Georg Wilhelm Pabst aus dem Jahr 1941 an, den die Nazis missbrauchten. Die Geschichte des Hanswurst, der das Theaterpublikum mit Anzüglichkeiten zum Lachen bringt, aber gefeuert wird, damit sich die ernsthafte Kunst durchsetzen kann, hält Böhmermann für bis heute aktuell. Und in genau dieser Rolle, als Schlüsselfigur zur notwendigen Zusammenführung von Ernst und Unterhaltung, sieht er sich selbst. Und ärgert sich: „Woher kommt es, dass ich die Rolle noch immer erklären muss?“ Über seinen Beruf fügt er hinzu: „In meinem Job muss ich mit dem Kopf zuerst rein, ohne zu wissen, wie tief das Wasser ist.“ Diesen Mut vermisse er manchmal im deutschen Kulturbetrieb.

Stattdessen geht er also selbst voran, taucht ein und ab, sieht vielleicht manchmal selbst erst, was er zutage fördert, wenn es einmal an die Oberfläche transportiert, also ausgestrahlt ist. Das können Shitstorms sein, was das Magazin-Team mit entsprechender Followerschaft und eigenen Hashtags einkalkuliert. Das können aber auch echte Konsequenzen sein, wie sie klassischer Investigativjournalismus zur Folge hat. Der Fall Arne Schönbohm (#Cyberclown) ist so ein Beispiel, den Innenministerin Nancy Faeser von seinem Amt als Präsident der Cybersicherheitsbehörde freistellte – elf Tage nachdem Böhmermann Recherchen veröffentlichte, die Verstrickungen Schönbohms nach Russland bis hin zum KGB enthielten. Der Fall Fynn Kliemann ist ein weiteres Beispiel: Der Youtube-Star, der mit Corona-Schutzmasken vermeintlich wohltätige Zwecke verfolgte – dabei aber mit importierten Billigmasken Geschäfte machte. Und auch die Strafanzeige gegen eine Polizistin aus Brandenburg als Folge der Sendung über Online-Polizeiwachen gegen Internethass zählt zu den ernsten Errungenschaften vom Magazin Royale.

Es muss nicht immer der ganz große Scoop sein, wie die Veröffentlichung der NSU-Akten, ein wohl einzigartiger und umstrittener Schritt. Oder der #Varoufake-Mittelfinger, eine im Grunde sehr frühe Form von Deepfakes als Verwirrspiel. Oder das nicht ganz von der Kunstfreiheit gedeckte Erdogan-Gedicht, das sogar die damailige Kanzlerin Angela Merkel einst in Bedrängnis brachte. Nein, oft sind es alltägliche, gleichwohl genauso relevante Themen, die Böhmermann aufgreift: Undurchsichtige Beerdigungskosten, mit Insektenresten verseuchte „Bio“-Weine, unwirksame Haarwuchsmittel. Gerne wird auch gegen die eigene Branche, auch gegen den eigenen Sender ausgeteilt.

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Foto: dpa/Peter Kneffel

Das Prinzip Böhmermann funktioniert nur so: unabhängig, unerwartbar, unverfroren. Nicht immer mit einer eindeutigen Erkenntnis, einem allgemeinen Aha-Erlebnis. Immer öfter nervt es auch, ist es überzogen und albern. Etwa die Ankündigung, dass Böhmermann mit Olli Schulz den Eurovision Songcontest kommentieren wird – fürs österreischiche Fernsehen und in Konkurrenz zu ESC-Moderator-Urgestein Peter Urban in der ARD, der es zum letzten Mal tun wird.

Wie Böhmermann wissen lässt: Um andere Länder, allen voran Deutschland „standesgemäß zu demütigen“. Lustig finden muss man das nicht. Unterhaltsam ist es trotzdem. Und zwar in dem Sinne, dass Menschen sich darüber unterhalten, sich mit etwas auseinandersetzen, was sie sonst höchstwahrscheinlich nicht tun würden. Und das ist auch schon das Beste, was das Prinzip Böhmermann erreichen will.

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