TV-Nachlese Günther Jauch Selbst Jauch bleibt hilflos zurück

Berlin · "Sollen wir ihnen den Kopf abhacken?" Günther Jauch, Experten und Betroffene offenbaren im Gespräch über das "Tatort"-Thema Jugendgewalt eine erschreckende Ohnmacht. Im Realitäts-Check fiel der Abend gleich doppelt durch.

Günther Jauch und die Jugendgewalt: Hilflosigkeit
Foto: Screenshot ARD

Der düstere Tatort mit dem Titel "Ohnmacht" befasste sich am Sonntagabend mit Exzessen brutaler Jugendgewalt. Günther Jauch nahm das Thema auf und bat Experten und Betroffene zu Wort. "Wir wollen wissen, wie es wirklich ist", kündigte Jauch an. Und scheiterte. Mit einer selten gesehenen Hilflosigkeit mäanderte der Moderator durch den Abend, ein Schulterzucken reihte sich an das nächste.

Eingeladen waren ausnahmsweise keine Politiker, sondern Betroffene. Martin Haas, ein ehemaliger Straftäter, der sich im Nachhinein härter Strafen wünscht. Die Berliner Jugendrichterin Corinna Sassenroth, die sich mit krassen Gegenfragen wie "Sollen wir ihnen den Kopf abhacken?" gegen härtere Strafen wehrt. Der Kriminalkommissar Addick Dase, der sich vor allem dann ärgert, wenn Verfahren eingestellt werden. Und der Jugendpsychiater Volker Schmidt, der warnt, eine Bombe könne man nicht in den Schrank sperren.

Immer wieder in der Sackgasse

Thema des Abends war die "Ohnmacht", weniger Jugendgewalt. Das war mit Sicherheit so gewollt, denn der Druck, in einer Talkshow über Jugendgewalt zu sprechen, hat spürbar nachgelassen. Erst im Februar meldete das Statistische Bundesamt erneut einen Rückgang der Jugendkriminalität. Und auch die so oft beklagte, angeblich zunehmende Hemmungslosigkeit beim Prügeln findet in Studien wenig Bestätigung. Wohl auch deswegen verzichtet Jauch in seiner Sendung gänzlich auf Statistiken und Zahlen.

Ohnmacht also. Dass aber am Sonntag die gesamte Sendung hilflos mit den Armen rudern würde, war sicherlich so nicht vorgesehen. Eine Diskussion wollte nicht aufkommen. Ex-Straftäter Haas zuckte oftmals mit den Schultern. Was er seinem traumatisierten Opfer jetzt sagen würde? Stille.

"Da kann ich jetzt nichts zu sagen"

An anderer Stelle erzählt die Richterin, dass sie einem Jugendlichen auf Bewährung auch kleinere Vergehen nicht mehr durchgehen lässt. "Das war bei mir anders", sagt Ex-Straftäter Haase. "Da kann ich jetzt nichts zu sagen", entgegnet die Richterin. Stille. Wieder verebbt die Diskussion bereits im Ansatz, Jauch arbeitet seine Frageliste ab: Veranlagung, Ursachen, Ausmaß der Gewalt, die Rolle von Handys, jeder erzählt seine Sicht. Aber Jauch bekommt es nicht hin, die Runde für eine gemeinsame Diskussion zusammenzubringen.

Das ist auch im Thema begründet. Es geht um das Jugendstrafrecht. Auch im Tatort wurde es als schlapp und wirkungslos dargestellt. "Blätter aufsammeln im Park und so'n Scheiß", sagt Kommissar Ballauf. In Wirklichkeit, das klingt am Rande an, ist es dieses Recht vor allem Auslegungssache. Das klingt am Rande an, als Richterin Sassenroth schildert, wie Gefängnis junge Menschen nur weiter zu kriminalisieren droht. Sie bemühe sich daher jeden als Einzelfall zu bewerten und zu entscheiden, ob jemand noch erreichbar ist und man mit ihm erzieherisch arbeiten kann.

Gewalt ist in den Genen veranlagt

Zumindest einige spannende Erkenntnisse klingen an. Vor allem Jugendpsychiater und Buchautor Volker Schmidt weiß einiges an Hintergründen beizusteuern. Dass der Hang zur Gewalt angeboren ist, es aber dann auf die Begleitumstände ankommt, ob einer mit dieser Veranlagung Straftäter wird, Spitzensportler oder Manager. Dass Täter oftmals nicht in der Lage sind, Mitleid oder Mitgefühl zu empfinden. Oder aber "erzieherisch verwahrlost" sind, weil Eltern ihnen niemals Grenzen gesetzt hätten. Zum Vertiefen reicht es an diesem Abend nicht.

Ernüchternd am Abend der Ohnmacht dürfte vor allem der Auftritt von Undine Schulz und ihrem Sohn Dennis in Erinnerung bleiben. Sie erzählte gleich zu Beginn, wie das in jungen Jahren doch "liebe Kind" zum Straftäter wurde, ohne dass sie genau sagen konnte, was bei ihm den Schalter umlegte. Therapie, psychologische Beratung, das ganze Hilfsprogramm rief sie auf. Erfolglos. Sie gründete den Verein "Mein Kind im Knast" und traf andere Eltern, die nicht weiter wussten, sich Vorwürfe machten und zerfleischten.

Doppelt gescheitert

Dennoch scheiterte der Themenabend unterm Strich an der Realität. Und das gleich doppelt. Zum einen an der bereits angedeuteten Entwicklung: Die Jugendkriminalität ist rückläufig, erste Ansätze wie beschleunigte Strafverfahren zeigen erkennbare Wirkung. Warum Jauch vor diesem Hintergrund jahrelang diskutierte Probleme wieder aufgriff, bleibt verwunderlich.

Bei Richterin Sassenroth fiel indes auch der Tatort durch. Als noch einmal die Szene eingespielt wurde, in der der Staatsanwalt trotz eines Mordverdachts ein beschleunigtes Verfahren ankündigt, bewertet sie das freundlich als "völlig unrealistisch".

(pst)
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