Autor wurde Opfer von Messerattacke Rushdie wird wohl Auge verlieren und künstlich beatmet

Update | New York · „Die Nachrichten sind nicht gut.“ Das sagte Salman Rushdies Manager Andrew Wylie, einen Tag nach der Attacke auf den 75-jährigen Schriftsteller. Er könne nicht sprechen und werde wahrscheinlich ein Auge verlieren, so Wylie nach Angaben der „New York Times“. Nach Genesungswünschen für Rushdie gab es am Samstag dann noch Drohungen gegen die Potter-Autorin Rowling.

 Der Autor Salman Rushdie (Archivbild).

Der Autor Salman Rushdie (Archivbild).

Foto: AFP/JOE KLAMAR

Eigentlich wollte der Schriftsteller Salman Rushdie am Freitag in den USA über verfolgte Künstler sprechen. Doch plötzlich wird er genau dort, auf offener Bühne, zum Opfer eines brutalen Angriffs. Ein 24-Jähriger sticht in dem Ort Chautauqua im Westen des Bundesstaates New York mehrmals auf den 75-Jährigen ein und verletzt ihn schwer. Rushdie wird in ein Krankenhaus gebracht, operiert und seinem Manager Andrew Wylie zufolge an ein Beatmungsgerät angeschlossen.

Er könne nicht sprechen und werde wahrscheinlich ein Auge verlieren, schrieb Wylie nach Angaben der „New York Times“. Nervenstränge in seinem Arm seien durchtrennt und seine Leber beschädigt worden. „Die Nachrichten sind nicht gut.“ Der mutmaßliche Täter, ein Mann aus dem Bundesstaat New Jersey, wurde festgenommen. Er habe wohl allein gehandelt, sagte ein Polizeisprecher am Freitag. Ob der Angriff im Zusammenhang mit der jahrzehntealten, gegen Rushdie ausgesprochenen Fatwa steht? Unklar.

Gegen den Mann wird wegen versuchtem Mord zweiten Grades und Körperverletzung zweiten Grades ermittelt. Das teilte am Samstag die State Police des Bundesstaats New York mit. Der 24 Jahre alte mutmaßliche Täter sitzt laut Polizeiangaben in Untersuchungshaft, ohne dass derzeit eine Möglichkeit zur Freilassung gegen Kaution besteht. Zu einem Tatmotiv gab es weiter keine Angaben. Mord zweiten Grades ist ein eigenständiger Tatbestand im US-Rechtssystem zum Tod eines Menschen. Er kann im Bundesstaat New York mit jahrelangen Haftstrafen belegt werden.

Rushdie war vor mehr als 30 Jahren per Fatwa zum Tode verurteilt worden. Wegen seines Werks „Die satanischen Verse“ („Satanic Verses“) aus dem Jahr 1988 hatte der damalige iranische Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini das religiöse Rechtsdokument veröffentlicht, das zur Tötung des Autors aufforderte. Chomeini warf Rushdie vor, in seinem Roman den Islam, den Propheten und den Koran beleidigt zu haben.

Der Fatwa folgte damals eine dramatische Flucht Rushdies und zeitweise jahrelanges Verstecken, um dem Todesurteil zu entkommen. Seit mehr als 20 Jahren lebt er nun in New York.

Die Tat geschah nun bei einer Vorlesung Rushdies in der sogenannten Chautauqua Institution, einem Erziehungs- und Kulturzentrum in einem ländlichen Gebiet des Bundesstaates. Die Veranstaltung habe im Rahmen einer Serie unter dem Titel „Mehr als Schutz“ („More than Shelter“) stattgefunden, bei der über die USA als Zufluchtsort für Schriftsteller im Exil und über die Verfolgung von Künstlern diskutiert werden sollte.

Nach Darstellung der Polizei stürmte der junge Mann die Bühne der von Hunderten Menschen besuchten Veranstaltung gegen 11 Uhr örtlicher Zeit (17 Uhr MESZ) und stach auf Rushdie ein. „Mehrere Mitarbeiter der Veranstaltung und Zuschauer stürzten auf den Verdächtigen und brachten ihn zu Boden“, sagte ein Sprecher. Ein Polizist habe den 24-Jährigen daraufhin festgenommen.

Unterdessen wurde Rushdie von einem Arzt aus dem Publikum behandelt, bis Rettungskräfte eintrafen und der Autor schließlich per Helikopter in eine Klinik gebracht wurde. Nach Informationen des US-Senders CNN soll das Institut noch zwei Tage zuvor abgelehnt haben, die Sicherheitsvorkehrungen zu erhöhen. Unklar sei aber, ob mit den empfohlenen Maßnahmen das Attentat auf Rushdie habe verhindert werden können, schrieb der Sender.

Die Attacke löste weltweit Entsetzen aus. „Diese Gewalttat ist entsetzlich“, sagte der nationale Sicherheitsberater Jack Sullivan laut Mitteilung des Weißen Hauses. UN-Generalsekretär António Guterres reagierte ebenfalls mit Entsetzen auf den Angriff. Der US-Senator und Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, schrieb auf Twitter, die Tat sei ein „Angriff auf die Rede- und Gedankenfreiheit“. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb, Rushdie sei von „Hass und Barbarei“ getroffen worden.

Die Familie des Angreifers soll einem lokalen Bürgermeister zufolge aus dem Süden des Libanon stammen. Die Eltern kämen aus dem Ort Jarun, der 24-Jährige selbst habe den Libanon aber seines Wissens nie besucht, sagte der Bürgermeister des Ortes, Ali Kassim Tahfa, der Deutschen Presse-Agentur. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür zunächst nicht. Der Süden des Libanon ist eine Hochburg der schiitischen Hisbollah-Organisation, die eng mit dem ebenfalls schiitischen Iran verbündet ist.

Vor wenigen Tagen noch hatte Rushdie dem Magazin „Stern“ gesagt, dass er sich in den USA sicher fühle. „Das ist lange her“, sagte Rushdie im Interview Ende Juli auf die Frage, ob er noch immer um sein Leben bange. „Für einige Jahre war es ernst“, sagte Rushdie weiter. „Aber seit ich in Amerika lebe, hatte ich keine Probleme mehr.“ Der Autor habe dabei aber auch vor dem politischen Klima und möglicher Gewalt in den USA gewarnt: Das Schlimme sei, „dass Morddrohungen alltäglich geworden sind“.

Auch nach Angaben seines Verlags aus dem vergangenen Jahr hätte die Fatwa für Rushdie inzwischen längst keine Bedeutung mehr. Er sei nicht mehr eingeschränkt in seiner Bewegungsfreiheit und brauche auch keine Bodyguards mehr. Die Jahre des Versteckens gingen jedoch nicht spurlos an ihm vorüber. Er verarbeitete diese Zeit in der nach seinem Alias benannten Autobiografie „Joseph Anton“ aus dem Jahr 2012.

Geboren wurde Rushdie im Jahr der indischen Unabhängigkeit 1947 in der Metropole Mumbai (damals Bombay). Er studierte später Geschichte am King's College in Cambridge. Seinen Durchbruch als Autor hatte er mit dem Buch „Mitternachtskinder“ („Midnight's Children“), das 1981 mit dem renommierten Booker Prize ausgezeichnet wurde. Er erzählt darin die Geschichte von der Loslösung Indiens vom Britischen Empire anhand der Lebensgeschichte von Protagonisten, die genau zur Stunde der Unabhängigkeit geboren werden und mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet sind.

Rushdie veröffentlichte mehr als zwei Dutzend Romane, Sachbücher und andere Schriften. Sein Stil wird als Magischer Realismus bezeichnet, in dem sich realistische mit fantastischen Ereignissen verweben.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Anschlag auf Rushdie verurteilt. „Was für eine abscheuliche Tat!“, schrieb der Kanzler am Samstag bei Twitter. Er wünschte dem Autor viel Kraft für die Genesung. „Die Welt braucht Menschen wie Sie, die sich vom Hass nicht einschüchtern lassen und furchtlos für die Meinungsfreiheit eintreten.“

Derweil ist die britische Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling nach dem Angriff auf Rushdie online bedroht worden. Rowling hatte am Freitag auf Twitter ihr Entsetzen über die Gewalttat ausgedrückt und über Rushdie geschrieben: „Ich hoffe, er ist okay.“ Daraufhin antwortete ein anderer Nutzer: „Keine Sorge, du bist die nächste.“ (original: „Don't worry you are next“).

Am Samstag bat Rowling zunächst Twitter selbst um Unterstützung. Später bedankte sich die 57-Jährige dann bei ihren Followern für Zuspruch und Unterstützung und schrieb, die Polizei sei eingeschaltet - und auch wegen anderer Drohungen im Einsatz.

Rowling ist aufgrund von Äußerungen zur Stellung und zu den Rechten von Transfrauen in der Gesellschaft nicht mehr unumstritten. Viele werfen ihr Transfeindlichkeit vor, was sie selbst zurückweist.

Das deutsche PEN-Zentrum in Darmstadt hat den Anschlag auf Rushdie scharf verurteilt. „Wir sind zutiefst schockiert über den Angriff“, teilte am Samstag Generalsekretärin Claudia Guderian mit. Ihr Mitgefühl sei bei Rushdie und seiner Familie. „Unsere guten Wünsche und Hoffnungen auf baldige Genesung begleiten ihn.“ Der Schriftsteller lebe „für die Freiheit des Wortes“ seit nunmehr 30 Jahren unter Todesbedrohung. „Einen solchen Anschlag auf sein Leben hat es bislang nicht gegeben.“

(felt/AFP/dpa)
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