Lego wegen Militärspielzeug in der Kritik Ein bisschen Krieg im Kinderzimmer

Analyse | Düsseldorf · Lego steht in der Kritik, weil der Konzern entgegen seiner viel gelobten Selbstverpflichtung erstmals ein reines Militärspielzeug auf den Markt bringen wollte. Hinter dem Vorstoß steckt kommerzielles Kalkül.

 Der Karton des strittigen Lego-Militärflugzeugs.

Der Karton des strittigen Lego-Militärflugzeugs.

Foto: Lego

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Seinen Ruf als Hersteller pädagogisch wertvollen Spielzeugs hat sich Lego hart erarbeitet. Die knuffigen Figuren lächelten lange allesamt, und Polizei und Feuerwehr retteten vor allem Kätzchen. Nach derart überschaubaren Abenteuern klingt auch der Werbetext für den Bausatz mit der Nummer 42113: Kinder ab elf Jahren lädt der Spielzeugriese ein „auf eine heikle Rettungsmission“ mit einem „Kipprotorflugzeug, das die Vorzüge eines Hubschraubers mit der Leistungsfähigkeit eines Flugzeugs in sich vereint“. Das Original habe sich „bei vielen echten Rettungseinsätzen bewährt“.

Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit, genauer gesagt ein sehr kleiner. Aus den Plastiksteinchen des fraglichen Bausatzes entsteht die Bell Boeing V-22 „Osprey“, so steht es auf der Packung. Und das echte Gerät mit dem putzigen Spitznamen „Fischotter“ ist reine Militärtechnik, im Einsatz etwa im Irak, in Afghanistan und Syrien. Stückpreis: um die 60 Millionen Euro.

Eingesetzt wird die V-22 von den US-Streitkräften etwa für den Transport von VIP-Gästen und die Rettung eingekesselter Soldaten – aber auch für Luftangriffe etwa gegen die Taliban. Ab Werk vorgesehen ist die Montage eines Maschinengewehrs im Heck.

Deshalb bekam Lego nun Gegenwind von der pazifistischen Deutschen Friedensgesellschaft. Diese prangerte an, dass Lego „sein erstes Militärset“ veröffentlichen wolle. Das Modell sei in „Zusammenarbeit mit Rüstungskonzernen“ entstanden, an die auch Lizenz­gebühren flössen: „Wer es kauft, finanziert auch Waffenhersteller mit“. Die Resonanz auf die Friedensaktivisten war überschaubar: Protestaktionen vor Lego-­Geschäften erregten nur wenig Aufsehen, das Youtube-Video „Love Bricks! - Hate war!“ hatte am Dienstag weniger als 1000 Aufrufe, eine Petition an Lego nur rund 100 Unterzeichner. Doch dass die Kampagne einen wunden Punkt trifft, zeigt die Reaktion von Lego selbst: Der fragliche Bausatz sei „von uns bezogen auf Einsätze des Flugzeugs bei Rettungsaktionen entwickelt“ worden, hieß es dort zunächst. Der Einstufung der Osprey als Militärgerät müsse man aber inzwischen zustimmen: „In diesem Fall haben wir uns nicht strikt an unsere eigenen Richtlinien und hohen Standards gehalten.“ Man werde daher die Pläne überprüfen. Nur einen Tag später dann die endgültige Absage: „Wir verfolgen seit langem die Politik, keine Sets mit echten Militärfahrzeugen zu erstellen, daher wurde beschlossen, dieses Produkt nicht auf den Markt zu bringen.“ Händler, die das Set schon im Lager haben, wurden aufgefordert, die bereits erhaltenen Bausätze zurückzuschicken.

Hintergrund der Kontroverse ist ein Grundsatz, den sich der Konzern selbst auferlegt hat: Lego versteht sich seit jeher als pazifistisches Unternehmen und kommuniziert das auch offensiv. 2010 präzisierten die Dänen ihre vormals etwas schwammige Firmenpolitik zu einem konkreten Ziel: „Realistische Waffen und Militärausrüstung zu vermeiden, die Kinder aus dem Einsatz in Konfliktregionen dieser Welt wiedererkennen könnten“. Das trifft auf die V-22 klar zu. Die dem Flugzeug-Bausatz beiliegenden Aufkleber mit dem Aufdruck „Rescue“ (Rettung) wirken da wie ein Feigenblatt.

Wie es zu dem Eklat kommen konnte, bleibt unklar – einen Fragenkatalog unserer Redaktion ließ Lego unbeantwortet. Verschleiern wollte der Hersteller aber jedenfalls nichts: die Logos der Hersteller der Original-Maschine, Bell und Boeing, prangen auf dem Karton des Modells, ähnlich wie zuletzt bei Autos von Lamborghini oder Land Rover.

Die Entwicklung eines neuen Modells dauert in der Regel aber etwa zwei Jahre; einfach „durchrutschen“ kann eine Prüfung auf Kompatibilität mit den eigenen ethischen Grundsätzen nicht. So liegt der Verdacht nahe, dass das Modell eine Art Testballon war: Wie weit kann sich Lego an die Konkurrenten heranrobben, die mit explizitem Fokus auf modernes Kriegsgerät aus Plastiksteinchen auf Wachstumskurs sind? Der Hersteller Cobi etwa führt unter anderem Mini-„Panzerfäuste“ für 83 Cent, den auch von der Waffen-SS eingesetzten Panzer „Königstiger“ und das Nazi-­Schlachtschiff „Bismarck“ (140 Euro).

So weit wird es bei Lego wohl nie kommen. Fakt ist aber, dass die erste Ritterburg des dänischen Herstellers 1978 erst vom Konzernchef abgesegnet wurde, als die Designer sie aus sonnengelben Steinen bauten. Grau oder braun kämen nicht in Frage, machte ihnen die Chefetage deutlich – zu groß sei die Gefahr, dass Kinder aus den „Tarnfarben“ Panzer bauen würden. Das ist lange her. Gut 20 Jahre später verkauften sich auch graue Ritterburgen nur noch schlecht. In der existenzbedrohenden Krise stieß Lego auf eine Goldgrube: Bausätze zur „Star Wars“-Saga. Mehr als 700 verschiedene erschienen bis heute, und fast wöchentlich werden es mehr. Im „Krieg der Sterne“ dreht sich alles um Konflikt – anders als bei Piraten, mit denen man Schatzsuche spielen kann, oder Indianern, die man im eigenen Spielzimmer auch davor bewahren kann, in Reservate gezwungen zu werden.

Aber auch an die realen Konflikte der Gegenwart pirscht sich Lego immer weiter heran. Mit inzwischen 229 verschiedenen Waffen für die Figuren, die zunehmend grimmig dreinschauen. Mit halb-fiktiven Soldaten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs in der „Indiana Jones“-Reihe. Mit XXL-Doppeldeckern aus dem Ersten Weltkrieg, MG inklusive. Und mit Modellen moderner Kampfjets wie etwa der F-14, die allerdings verschämt „Blue Power Jet“ heißen oder „Air Race Jet“. Dass jetzt erstmals ganz offen das Modell eines Militär­flugzeugs verkauft werden sollte, ist eine Grenzüberschreitung. Und natürlich hat die mutmaßliche Kooperation mit Rüstungskonzernen einen stärkeren Beigeschmack als etwa die 1966 begonnene Kooperation mit Shell, die 2014 auf Druck von Greenpeace beendet wurde.

Um es ganz deutlich zu sagen: Die Rücknahme des Modells ist kein „Einknicken“ vor einem „Tugendterror“ – sondern eine reine Business-Entscheidung: Die Bausätze zu verschrotten ist günstiger als der Verlust von Glaubwürdigkeit, der Lego gedroht hätte nach Verstoß gegen seine eigenen Regeln. Der Verzicht auf Militärspielzeug bedeutet zwar auch einen Verzicht auf verlockende Umsätze – zugleich aber ist er selbst ein geldwerter Vorteil.

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