Kommentar zu Vorgehen gegen ZDF-Reporter Kretschmer muss aufklären

Berlin · Nach dem Skandal um einen LKA-Mitarbeiter, der bei einer Demonstration von Pegida in Sachsen gegen Journalisten pöbelte, muss Sachsens Ministerpräsident Kretschmer handeln.

 Teilnehmer einer Pegida-Demonstration in Dresden (Archiv).

Teilnehmer einer Pegida-Demonstration in Dresden (Archiv).

Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Um es direkt vorweg zu sagen: Das selbstherrliche, oft fremdenfeindliche und anmaßende Gegröle vieler Anhänger der sogenannten „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ ist unerträglich. Es zeugt von dumpfen Vorurteilen, diffusen Ängsten sowie ausgeprägtem Groll und Hass auf viele Erscheinungsformen einer pluralistischen, weltoffenen Gesellschaft. Sicher, in Deutschland gibt es viele Missstände, es läuft längst nicht alles rund. Weder in der Sozial-, der Steuer- noch in der Migrations- und Integrationspolitik. Ganze Bevölkerungsteile fühlen sich abgekoppelt und sind es womöglich auch, wenn es etwa um den Zugang zum Arbeitsmarkt oder um gesellschaftliche Teilhabe geht. Das darf nicht sein, das gehört abgestellt, das muss die Politik sehr ernst nehmen.

Genauso ernst ist aber die Verteidigung unserer Verfassung zu nehmen. Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern und an Versammlungen teilzunehmen, möge sie noch so unerträglich sein. Solange es nicht justiziabel wird, darf ein Mensch seine Gedanken mitteilen. Das gilt auch für Mitarbeiter eines Landeskriminalamtes. Das stellt niemand in Abrede.

In demselben Grundgesetz ist die Pressefreiheit verankert. Sie zu wahren, ist eine essentielle Aufgabe aller Bürger und Institutionen – und aller politischen Akteure. Der Ministerpräsident eines Landes bildet da natürlich keine Ausnahme, ebenso wenig die Polizei. Wenn nun alles in Sachsen zusammenkommt, also die Äußerung unerträglicher, aber freier Meinungen, die mutmaßliche Behinderung der Arbeit von Journalisten durch Polizei und politisch nicht eindeutige Abgrenzungen von all dem, dann läuft da etwas gewaltig schief. Ausgerechnet in Sachsen, wo Pegida bis heute Zulauf hat.

Schon Michael Kretschmers Amtsvorgänger Stanislaw Tillich fiel vor allem während der Phase höchster Einwanderungszahlen wiederholt dadurch auf, sich nicht entschlossen genug gegen die sogenannten Wutbürger zu stellen. Er zauderte bei verschiedenen Anlässen immer wieder. Sein CDU-Parteifreund und Nachfolger Kretschmer droht in seinem Handeln ähnlich wankelmütig zu wirken. Als er die Polizei für ihren Einsatz bei einer Pegida-Demonstration lobte, bei der die Beamten mutmaßlich zu lange die Arbeit von ZDF-Reportern behinderten, schlug ihm zu Recht viel Kritik entgegen. Sein Land setze sich für die Pressefreiheit ein, betonte er jetzt.

Doch er muss bei der Polizei genau hinschauen. Der Begriff „Pegizei“ ist abwegig und es wäre vollkommen verkehrt, alle in einen Topf zu werfen: Es muss aber im Interesse eines Ministerpräsidenten sein, Aufklärung eines solchen Falls bei der Polizei zu betreiben. Und dann ist es auch nicht nur mit dem einen LKA-Mitarbeiter getan, der möglicherweise arbeitsrechtliche Konsequenzen zu spüren bekommt. Tut Kretschmer das nicht, leistet er nur den Rechtsnationalen weiteren Vorschub. Das kann er nicht wollen, weder mit Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt in seinem Land, noch mit Blick auf die anstehende Wahl im kommenden Jahr.

(jd)
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