Gründung war Aufbruch zu neuem Lebensgefühl Jubiläum: Das Reformhaus wird 100

Oberursel (dpa). Es war der Aufbruch zu einem neuen Lebensgefühl: "Zurück zur Natur" war das Motto einer Zeit, die sich angesichts von Industrialisierung und Verstädterung ein Stück Natur erhalten wollte - und wenn sie aus dem Kaufhaus kam. Vor 100 Jahren wurden die ersten Reformhäuser gegründet.

Knapp 2500 davon gibt es zurzeit in der Bundesrepublik. Nach Angaben des Reformhaus-Verbandes "neuform" in Oberursel setzen sie zusammen jährlich 1,25 Milliarden Mark um. Mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes wird mit Lebensmitteln erwirtschaftet. 15 Prozent sind Naturarzneimittel, 12 Prozent entfallen auf Kosmetika. Rund 5 700 verschiedene Produkte gibt es in den "neuform"-Häusern zu kaufen.

In den Anfangsjahren war das Sortiment deutlich kleiner. Die ersten Läden glichen eher Sanitätshäusern als Lebensmittelgeschäften. Zinkwannen für die gerade populär gewordenen Kneipp-Kuren und "Wohlfühlleibchen" für die korsettfreie Taille waren besonders beliebt. Bei den Nahrungsmitteln waren Margarine und Fruchtsäfte der Renner. Seit 100 Jahren blieb der Dauerbrenner das Müsli.

Erste Eröffnung in Berlin

Das erste Warenhaus für solche Art Produkte eröffnete 1887 in Berlin. Die "Gesundheitszentrale" machte Schule und fand viele Nachahmer. Doch der Name "Reformhaus" wurde erst 1900 erfunden. Karl August Heynen verwendete ihn für sein Geschäft "Jungbrunnen" in Wuppertal. 1930, als es bereits fast 2000 solcher Geschäfte in Deutschland gab, wurde die "Vereinigung Deutscher Reformhäuser, "neuform", gegründet, die heute in Oberursel bei Frankfurt sitzt.

Das vermutlich älteste noch bestehende Reformhaus Deutschlands steht in Offenbach. Johann Wilhelm Kumpf begann 1894 mit dem Verkauf von Produkten, die er direkt von der Berliner "Gesundheitszentrale" bezog. "Anfangs gab es noch gar kein Geschäft. Kumpf verkaufte die Waren in seinem Wohnzimmer", weiß die heutige Besitzerin des Ladens, Heide Jörg-Menerville. 1900 eröffnete Kumpf sein erstes richtiges Geschäft, doch erst 1912 ließ er den inzwischen populär gewordenen Namen "Reformhaus" über die Türe pinseln.

Jörg-Mernerville hat den Wandel der Reformhäuser im Laufe der Jahrzehnte miterlebt. "Das Sortiment wurde genussorientierter", sagt sie. Statt lustfeindlicher Askese-Waren eroberten exklusive Lifestyle-Produkte wie wertvoller Balsamico-Essig die Regale. "Gleichzeitig wurden die Verbraucher immer jünger", sagt sie.

Das belegt auch eine Studie der MediaMarktAnalysen GmbH (Frankfurt): Den Großteil der Kunden machen der Untersuchung zu Folge junge Mütter und "ernährungsbewusste Frauen" aus. Sie halten die Produkte aus dem Reformhaus für hochwertiger (38 Prozent) und gesünder (21 Prozent). 18 Prozent schätzen, dass die Waren keine Konservierungsstoffe enthalten.

(RPO Archiv)
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