Düsseldorf Jochen Vogels "Park in der Sonne"

Düsseldorf · "Der große alte Mann der SPD" ist 88 Jahre alt und leidet an der unheilbaren Parkinson-Krankheit. Übers Sterbenmüssen, über den Ewigen Richter, dem er sich zu verantworten habe, redet er sachlich. Nur einmal übermannt ihn Rührung.

"Altwerden ist nichts für Feiglinge." So schrieb der Charmeur und Unterhaltungskünstler Joachim Fuchsberger, der im September mit 87 Jahren gestorben ist. Hans-Jochen Vogel - man nennt ihn neben Helmut Schmidt "den großen alten Mann der SPD" - ist weder ein Charmebolzen noch war er je ein quick perlender Zeitgenosse. Warum man dennoch einen Vergleich mit dem um ein Jahr jüngeren "Blacky" Fuchsberger zieht und einem dessen eingangs zitierter Buchtitel nicht aus dem Kopf geht, liegt an der eindrucksvollen Erzählung Vogels über Krankheit und Tod, Gottes- und Jenseitsglaube, also über die mit Recht so genannten letzten Dinge.

Hans-Jochen Vogel, den sie seit Göttinger Jugendtagen in einer Arztfamilie nur Jochen nennen, hat der Illustrierten "Stern" gegenüber getan, was er zeitlebens eher vermied - er hat sich als alter, an der unheilbaren Nervenkrankheit Parkinson leidender Mensch geöffnet. Im mehr als zweistündigen Gespräch traten dem stets diszipliniert auftretenden Juristen mit der Bilderbuchkarriere im Staatsdienst auch Tränen in die Augen. Das war gegen Ende der Unterhaltung, als das Gespräch auf Vogels (zweite) Ehefrau Liselotte kam, die ebenfalls hochbetagt und seit 42 Jahren mit ihrem immer etwas dominanten Jochen verheiratet ist. Während der Senior zuvor auf seine wohlbekannte, sehr eigene Art sachlich und gefasst über das Sterbenmüssen, über Gott, über Sterbehilfe (die er aus religiöser und humaner Überzeugung ablehnt) philosophiert hat, wird es rührend beim Stichwort "Liselotte". Die Interviewer nahmen einen weicher klingenden Tonfall bei dem alten Herrn im Jackett, mit weißem Hemd und Krawatte wahr. "Haben Sie Angst, vor Ihrer Frau gehen zu müssen?", wird Vogel gefragt. Antwort: "Es ist genau umgekehrt. Ich habe Angst, dass meine Frau vor mir geht. Mir würde ein Stück meines Lebens fehlen." Und: "Ja, das wäre sehr schlimm", in die leere Wohnung zu gehen.

Das Ehepaar lebt seit 2006 in einem feinen Münchner Wohnstift - 80 Quadratmeter, elfter Stock, herrlicher Blick über Bayerns Metropole, die als "Weltstadt mit Herz" 1972 in die Geschichte der Olympischen Spiele einging. Vogel war damals Münchner OB - ein legendärer Stadtvater. Später war der penible Jurist Bundesminister, noch später SPD-Vorsitzender und Fraktionsvorsitzender der SPD in der Tradition des herrischen, unvergessenen Herbert Wehner.

Nun sitzt Vogel da mit seinen 64 Jahren SPD-Mitgliedschaft auf dem noch nicht krummen Buckel und denkt an die nahe letzte Stunde, an den Herrgott, "seinen" Herrgott. Vogel, der Katholik, ist Glaubender geblieben - anders als Helmut Schmidt, der einmal bekannte, je älter er werde, desto mehr schwinde sein Glaube. Angst vor dem Tod haben beide Steinalten nicht. Kurz, schnell und schmerzlos möge es geschehen, sagt Vogel. Er glaubt - das ist ein gewaltiger Trost -, dass es danach nicht zu Ende ist, dass der Ewige Richter ihm gegenübertritt und nicht der "schwarze Samt" (Churchill) das große Nichts zudeckt. Noch hat die Parkinson-Krankheit den 88-Jährigen nicht niedergedrückt - psychisch nicht, körperlich nicht. Das typische Zittern sei noch beherrschbar. Müdigkeit, Vergesslichkeit, Gehprobleme schleichen sich ein und künden davon, dass der letzte Weg nicht allzu fern ist.

Dann zum Schluss noch etwas, womit der stets streng, korrekt erscheinende Mann (im Rheinland würde man ihn einen Pingel nennen) aufs Schönste überrascht: Humor. Seine Krankheit Parkinson verulkt Vogel als "Park in der Sonne".

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort