"Natürliche Todesursache": Arzt übersah 20 Messerstiche Jeder zweite Mord bleibt unentdeckt

Gießen (rpo). Rosige Zeiten für Mörder: Die Kriminalpolizei und Rechtsmediziner gehen davon aus, dass nur jeder zweite Mord oder Totschlag als solcher erkannt wird. Eine professionelle Leichenschau und eine Verbesserung der Medizinerausbildung könnten hier Abhilfe schaffen.

Der perfekte Mord wird angesichts moderner Kriminaltechnik immer schwieriger. Doch wegen Mängeln in der Rechts- Medizin sinkt für die Täter zugleich das Risiko, entdeckt zu werden. "Die besten Chancen hat der Mörder, wenn die Leiche am Seziersaal vorbeigeschleust wird", sagt nüchtern der Österreichische Pathologe Hans Bankl im "Spiegel"-Interview. Immer noch bleibt mindestens jeder zweite Mord oder Totschlag in Deutschland unerkannt, behaupten Rechtsmediziner und belegen diese These mit einer großen Querschnittsuntersuchung aus dem Jahr 1997. Zu den bekannten 960 Tötungsdelikten im Jahr 2000 käme so noch einmal die selbe Anzahl hinzu.

Bei mehr als 90 Prozent aller Verstorbenen wird auf dem Toten- Schein "natürliche Todesursache" angekreuzt. Den Schwarzen Peter haben meist Haus- und Notärzte, die im Todesfall zuerst gerufen werden. Die Rechtsmediziner halten ihren Kollegen schlampige Untersuchungen und falsche Rücksicht vor, wenn die Leiche noch nicht einmal entkleidet wird. Spektakulär ist der Fall einer Ärztin aus Hannover, die einen natürlichen Tod nach Herzversagen diagnostizierte und dabei 20 Messerstiche im Rücken des Opfers übersehen hat. Häufig unentdeckt bleiben zum Beispiel Giftmorde oder Erstickungen.

Tote haben keine Lobby

Tote haben keine Lobby, lautete der Titel eines vor gut zwei Jahren viel beachteten Buchs der "Zeit"-Journalistin Sabine Rückert, das die Missstände schonungslos aufgezeigt hat. Zum Guten hat sich seitdem nach Einschätzung der Rechtsmediziner nichts gewendet. Mit Müh und Not, so berichtet der Präsident der Gesellschaft für Rechtsmedizin, Bernd Brinkmann aus Münster, habe man die Schließung von drei Instituten in Nordrhein-Westfalen verhindern können. Die Rechtsmedizin in Aachen wurde hingegen geschlossen. In Deutschland sei von 1994 bis 1999 die Zahl der Obduktionen um etwa ein Fünftel zurück gegangen. Nur rund jeder 20. Leichnam von rund 900 000 pro Jahr komme den Fachleuten noch unters Seziermesser, zu wenig auch für die medizinische Qualitätskontrolle.

Etwas schlechtere Karten haben Mörder im kleinen Bundesland Bremen. "Wir sehen 80 Prozent aller Leichen", sagt Michael Birkholz, Chef des gerichtsmedizinischen Instituts. Die hohe Quote liegt zum einen am hohen Anteil der Feuerbestattungen, die eine zweite, amtsärztliche Leichenschau zwingend notwendig machen. Als Amtsärzte kontrollieren die Bremer Rechtsmediziner zudem, was ihre Kollegen auf die reformierten Totenscheine schreiben. Die Notärzte müssen sich nicht mehr unter Zeitdruck für natürliche oder unnatürliche Todesart entscheiden, sondern sollen nur noch ihre Beobachtungen an der Leiche aufführen. "Der Befund muss nicht bewertet werden, das erledigen wir dann", schildert Birkholz die Arbeitsteilung, die den Mediziner vor Ort aber nicht aus der Verantwortung entlässt: "Das beliebte Rausreden wegen fehlender Beobachtungen gibt es nicht mehr."

Auch in die frühere "Black Box" Krankenhaus sei Licht gebracht worden, sagt Birkholz stolz. Beim Tod des Patienten auf dem OP-Tisch wird sofort die Gerichtsmedizin verständigt, die jährlich über 400 Todesfälle aus Krankenhäusern "ordnungsgemäß abwickle" und auch Kunstfehler entdecke. Wichtiger sei jedoch die präventive Wirkung, wenn die Kollegen wüssten, dass kontrolliert werde. So gesehen erscheint die vom Bundeskriminalamt belegte statistische Wahrheit in einem anderen Licht, dass in Bremen Mord und Totschlag häufiger entdeckt wird als irgendwo anders in der Republik.

(RPO Archiv)
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