Jahresrückblick 2012 So spannend war das Wissenschaftsjahr 2012

Düsseldorf · Das Wissenschaftsjahr war geprägt vom Nachweis eines lange vermuteten Teilchens. Die Nasa feierte auf dem Mars einen technischen Erfolg. In Sachen Klimawandel herrscht weiter Hilflosigkeit. Die lange umstrittene Stammzellenforschung wurde mit einem Nobelpreis geadelt. Ein spannendes Jahr im Rückspiegel.

Die spektakulärste Entdeckung

Die herausragend wissenschaftliche Entdeckung des Jahres 2012 ist ohne Zweifel der Nachweis des Higgs-Teilchens. Peter Higgs hatte seine Existenz vor 50 Jahren vorhergesagt, aber es bedurfte des größten Teilchenbeschleunigungs-
experiment aller Zeiten, bis das letzte fehlende Stück in der Theorie zum Aufbau der Materie nachgewiesen werden konnte. Am Teilchenbeschleuniger Cern feiert man das Ereignis mit Würde, fast schon mit Demut – Peter Higgs vergoss Tränen.

Die folgenreichste Entdeckung

Die Menschheit ist auf dem langen Weg, ihre eigene Spezies zu verstehen, ein gutes Stück weitergekommen. Bei der Entschlüsselung unseres Erbguts hat eine internationale Forschergruppe einen wichtigen Schritt geschafft. Fünf Jahre lang haben 442 Genetiker im Projekt "Encode" die Details der menschlichen DNA untersucht. Sie fanden ein feines System von Schaltern – und Tausende neuer Fragen. Die Forscher haben bestimmte Funktionen menschlicher Zellen mit der komplexen Struktur unserer Erbinformationen verknüpft. Die erste wesentliche Erkenntnis: Vermutlich sind 80 Prozent unseres Erbguts biologisch aktiv, greifen also ständig mehr oder weniger aktiv in die biochemischen Prozesse des Körpers ein.

Der längste Weg

Die Menschheit bekam einen weiteren Außenposten auf dem Mars. In einer beispiellosen Ingenieursleistung landete Anfang August der Roboter "Curiosity" auf dem roten Planeten. Das zwei Meter hohe Gefährt auf vier Rädern scheint bestens ausgerüstet für eine langjährige Mission. Wissenschaftliche Sensationen konnte die US-Raumfahrtbehörde Nasa bisher nicht vorweisen, aber immerhin funktionieren alle Sensorsysteme und das Fahrzeug ist gegen die äußeren Widrigkeiten besser gewappnet als seine Vorgänger. Die "Curiosity" versetzte die USA in eine neue Raumfahrt-Euphorie: Ihre Bilder wurden auf dem Times Square in New York übertragen, ihre Tweets haben Millionen Follower.

Während die Nasa die Öffentlichkeit sucht, verschwindet die Sonde "Voyager" im Jahr 2012 in der Unendlichkeit. Erstmals hat ein funktionierender Satellit den Rand unseres Universums erreicht. Zudem wird 2012 zum Jahr des Paradigmenwechsels: Der private Raumtransporter "Dragon" koppelt an die Internationale Weltraumstation ISS an, damit haben solche Routineflüge endgültig die forschenden Weltraumorganisationen verlassen und sind zum Geschäftsfeld privater Dienstleister geworden. Die US-Raumfähren haben 2012 den Weg ins Museum angetreten. Die Nasa und ihr europäisches Gegenstück ESA investieren ihr Geld lieber in die Beobachtung der Erde. Einige neue Satelliten verbessern das Überwachungsnetz und liefern nie gekannte Details und faszinierende Bilder, etwa die Erde bei Nacht.

Die traurigsten Erkenntnisse

Ein prägendes Erlebnis für 2012 ist die Hilflosigkeit im Umgang mit der Reaktorkatastrophe in Fukushima. Auch fast zwei Jahre nach dem Unfall, bei dem es in drei Reaktoren zur teilweisen Kernschmelze kam, können die Rettungskräfte nicht viel mehr tun als die Unglücksstelle mit Gerüstkonstruktionen mit Plastikfolien zu sichern. Immerhin scheinen die direkten gesundheitlichen Folgen des Unglücks für die Menschen in der Region geringer auszufallen als von vielen erwartet. Dennoch: In 2012 wurden Pläne vorgestellt, dass es mindestens 40 Jahre dauern wird, die Reaktoren, die nicht betreten werden dürfen, zu entsorgen. Jüngste Messungen sagen, dass der Evakuierungsbereich nicht verkleinert werden kann. Im Sommer schockieren die Fotos von missgebildeten Schmetterlingen, deren Erbgut durch Radioaktivität geschädigt wurde.

Für weniger Aufregung sorgte hingegen die Nachricht, dass das Eis am Nordpol in diesem Jahr so dünn ist wie nie zuvor. Viele Wissenschaftler werten das als Folge des Klimawandels, der in zwei Aspekten aber unverändert bleibt: Die Menge der Zweifler wird trotz besserer Datenlage nicht geringer und die Unfähigkeit bei einer Klimakonferenz zu nennenswerten Beschlüssen zu kommen, geht auch 2012 nicht verloren. Gewöhnt haben wir uns offenbar auch an eine andere Nachricht: das Ausmaß der Verwendung von Antibiotika in der Fleischproduktion. Entsprechend steigt der Anteil der Krankheitserreger, die auf diesen Typ medizinischer Wirkstoffe nicht mehr reagieren.

Die modernste Medizin

Die umstrittene Stammzellforschung wird im Jahr 2012 mit dem Nobelpreis geadelt. Zehn Jahre lang kämpfte sie mit Vorwurf, sie sei ethisch problematisch und wurde dadurch neben der Gentechnik zum am meisten regulierten Forschungszweig. Doch das Nobel-Komitee entschloss sich dennoch für die Grundlagen des Klonens und die Erzeugung der ips-Zellen seine höchste Auszeichnung zu vergeben. Im Tierversuch wurden in 2012 viele Funktionen von Körperzellen durch Neuprogrammierung verändert, dabei konnten sogar Eizellen geschaffen werden. Der Traum vom Ersatz erkrankten Gewebes durch künstlich veränderte Zellen lebt.

Zugleich gab es in diesem Jahr die erste behördliche Zulassung einer Gen-Therapie in Europa. Eine seltene Erbkrankheit kann mit dem neuen Verfahren behandelt werden, das innerhalb des Körpers Korrekturen am Erbgut der Zellen vornimmt. Als vergleichbare Therapieversuche vor gut zehn Jahren mit einem Todesfall und mehreren Krebserkrankungen endeten, galt das Verfahren als gescheitert. Ebenfalls als Prototypen für eine Reihe von Untersuchungen darf man das Diagnose-Verfahren für das Down-Syndrom bei Ungeborenen werten. Weil sich das Erbgut des Babies im Blut der Mutter nachweisen lässt, soll das nun neue Vorsorgeuntersuchungen ermöglichen. Das erste Verfahren dieser Art wurde ebenfalls in 2012 zugelassen. In den USA dürfen zwei völlig neuartige Medikamente verkauft werden, mit denen Übergewichtige sehr einfach abnehmen können.

Das größte Netzwerk

Noch nie zuvor hat ein Jahr so viel neue Erkenntnisse über den Aufbau des menschlichen Gehirns gebracht, die zudem noch praktisch genutzt werden konnten. Eine Entwicklung, die beispielsweise das Leben von querschnittsgelähmten Menschen in Zukunft erleichtern könnte, sind Roboter-Arme, die mit dem Gehirn gesteuert werden. In den USA wurden In das motorische Zentrum ihres Gehirns einer querschnittgelähmten Frau zwei Mikroelektroden eingepflanzt. Diese waren mit einem in alle Raumrichtungen beweglichen künstlichen Arm mit Hand und voll beweglichen künstlichen Fingern verbunden. Bereits zwei Tage nach der Operation konnte die Frau diesen Arm frei bewegen - nur mittels ihrer Gedanken, schreiben die Forscher. Nach über drei Monaten Training habe sie bestimmte Greif-Aufgaben zu über 90 Prozent erfüllen können, ihre Bewegungen wurden dabei immer schneller und effizienter. In Großbritannien konnte ein Physiker Kontakt mit Wachkoma-Patienten aufnehmen, die seit mehr als zehn Jahren keine Reaktion gezeigt hatten.

Die streitbarsten Forscher

Nicht zu erwarten, aber das Jahr 2012 erlebte erneut eine Debatte, was Wissenschaft darf. Zwei Forschergruppen arbeiteten mit dem Vogelgrippen-Virus und suchten nach den Gründen seiner Gefährlichkeit und seiner Fähigkeit sich schnell zu verändern. Die Ergebnisse von Ron Fouchier aus Rotterdam beschäftigten sogar die Geheimdienstgremien in den USA, denn das japanische und das holländische Team fanden eine einfache Methode aus dem Vogelgrippe-Virus einen gefährlichen Erreger zu erzeugen. Aus Angst vor Bio-Terrorismus wurden einige Passagen der Forschungsergebnisse nicht veröffentlicht, aber die Lehre aus 2012 ist die, dass seriöse Forschung unter geeigneten Bedingungen durchaus solche Fragen klären darf – und ihre Ergebnisse nicht in der Schulbade verschwinden.

Der Italiener Bernardo de Bernardinis muss für seine Forschung sogar ins Gefängnis. Ein italienisches Gericht verurteilte ihn, weil seine Warnung vor einem großen Erdbeben nicht ausreichend war. Zwar hatten mehrere Gutachter im Prozess erklärt, dass die gewünschte Sicherheit in der Erdbebenprognose nicht gibt, aber dennoch blieb das Gericht der Ansicht, dass die Menschen hätten gewarnt werden können und entschied auf eine Haftstrafe. Sämtliche Mitglieder der Kommission für Risikobewertung und Katastrophenschutz traten daraufhin von ihren Ämtern zurück.

Die ungewöhnlichste Fragestellung

Für die beiden seltsamsten, aber seriösen, wissenschaftlichen Forschungszielen gibt es für 2012 zwei klare Sieger: Nuklearmediziner aus Lausanne wollen viele Jahre nach dem Tod von Yassir Arafat überprüfen, ob der Palästinenser-Führer mit Polonium vergiftet wurde. Durch ihre geringe Halbwertzeit ist radioaktiven Substanz weitgehend zerfallen. Eine einzige Messung bei der Polonium-Suche wird deshalb mindestens zwei Wochen dauern. Doch die Schweizer sind zuversichtlich, dass sie auch allerkleinste Spuren finden können. Nicht gefunden haben hingegen die russischen Wissenschaftler, die den fast 4000 Meter unter der Antarktis liegenden Vostok-See angebohrt haben. Sie gehofft, dass sich in dem einige hundert kilometerlangen Gewässer unter dem ewigen Eis vielleicht eine besondere Spezies Leben hatte entwickeln können. Doch der seit mehr als 150.000 Jahre nicht angetastete See erwies sich als frei von Mikroben.

(csi)
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