Jahresrückblick 2012 Fünf Tage veränderten Obamas Jahr

Sollte Barack Obama am Silvesterabend auf das vergangene Jahr zurückschauen, werden ihm vermutlich fünf Tage in den Sinn kommen, die dem Jahr 2012 entscheidende Wendungen verliehen. Zermürbender Wahlkampf, ein Abend als Geisterfahrer, die Tränen von Newtown – ein Rückblick.

2012 wird als das Jahr von Barack Obamas Wiederwahl in die Geschichtsbücher eingehen. Dass es sich dabei um einen wahrhaftig historischen Vorgang handelt, steht außer Zweifel. Obama ist durch seine Wiederwahl über den Status eines Hoffnungsträgers hinausgewachsen. Nun wird er nicht an seiner Eigenschaft als "erster Schwarzer im Weißen Haus" gemessen werden, sondern an seinen Leistungen im Amt.

Das Ende des weißen Mannes

Für Amerika bedeutet das mit dem Blick auf die Zukunft: Was 2008 historische Ausnahme war, wächst zur Normalität heran. Etliche Zeitungen besangen mit dem Blick auf die demographische Entwicklung bereits das Ende der Ära des weißen Mannes

Die Wahl 2012 zeigte noch etwas Weiteres: Amerika ist gespaltener denn je. Der Ton hat sich radikalisiert. Das Land befindet sich im kulturellen Bürgerkrieg. Grundlegend verschiedene Vorstellungen prallten im Wahlkampf aufeinander. Über die Aufgaben des Staates und des Einzelnen, die Gesundheitsversicherung, Abtreibung, Waffenrecht, Einwanderung, Steuern und Verteilungsgerechtigkeit.

Der Präsident kann jetzt freier agieren

Obama steht somit vor gewaltigen Problemen. Doch dem US-Präsidenten ist zuzutrauen, dass er erstens aus seinen Fehlern der ersten Jahre lernt und zweitens den Mut hat, heiße Eisen anzupacken. Obama wäre nicht der erste Präsident, der in seiner zweiten Amtszeit wie befreit auftritt. Jetzt geht es nicht mehr um Wiederwahl, sondern um sein politisches Erbe.

Bis es soweit kommen konnte, hielt das Jahr für Obama jedoch einige schwere Prüfungen bereit. Turbulent ging es zu. Insbesondere fünf Tage darf man im Rückblick als Einschnitte verstehen, die Obamas Jahr den entscheidenden Spin verliehen.

Dienstag, 10. April

Santorum schafft Klarheiten

Monatelang konnte Barack Obama zuschauen, wie sich die Republikaner auf der Suche nach ihrem Präsidentschaftskandidaten selbst zerlegten. Mit Unterstützung der radikakonservativen Tea Party und der religiösen Rechten erweist sich insbesondere der bibeltreue Ex-Senator Rick Santorum als unerwartet harter Gegner von Favorit Mit Romney.

Die Vorwahlen dauern deutlich länger als geplant. Erst im April entscheidet sich das Rennen bei den Konservativen: Santorum sieht ein, dass er keine reelle Siegchance mehr hat und macht den Weg frei für Romney. Der aber muss dafür einen hohen Preis zahlen: In seiner Rhetorik rückte der eigentlich moderate Ex-Manager und Millionär weit nach rechts außen.

Für Obama werden damit zwei Dinge klar: Erstens beginnt nun auch für ihn der Wahlkampf, er kennt jetzt seinen Gegner. Zweitens: Dieser Wahlkampf wird schmutzig. So wie die Tea Party Obama mit Sozialismus gleichsetzt, so wird Obama seinen Herausforderer Romney als eiskalten Ausbeuter an die Wand stellen.

Es wird der teuerste Wahlkampf aller Zeiten. Mehr als zwei Milliarden US-Dollar pumpen die beiden Lager in Online-Kampagnen, Veranstaltungen und vor allem TV-Spots. Monatelang werden die Amerikaner mit Demagogie überrollt. Romney schiebt Obama aus dem Zusammenhang gerissene Zitate unter, Obama lässt seinen Kontrahenten als Vampir beschimpfen.

Mittwoch, 5. September

Fast eine Vorentscheidung

Parteitag der Demokraten in Charlotte. In zwei fulminanten Ansprachen werben Bill Clinton und Michelle Obama für den amtierenden Präsidenten. Vor allem das Engagement des überaus populären Alt-Präsidenten beeindruckt die Amerikaner. Er liefert die Geschichte, die Obama selbst nie an den Mann bringen konnte: Das aktuelle Elend verdankten die USA der Regierung Bush, die Obama eine Finanz- und Wirtschaftskrise hinterlassen habe.

Knapp eine Woche vorher hatte sich Mitt Romney auf dem Parteitag der Republikaner offiziell zum Herausforderer Obamas krönen lassen. Im direkten Vergleich mit Obama erzielte er jedoch ein verheerendes Ergebnis. In den Umfragen legte er im Anschluss an die Krönungsmesse so wenig zu, wie noch kein Herausforderer vor ihm. Ganz anders der Parteitagseffekt beim Präsidenten: Obama verschaffte sich einen stabilen Vorsprung von drei bis vier Prozentpunkten.

Romney hingegen leistete sich ein Wahlkampf-Desaster nach dem anderen. Als eine Aussage publik wurde, mit der Romney fast die Hälfte der Amerikaner als Sozialschmarotzer betitelte, schien das Rennen gelaufen.

Mittwoch, 3. Oktober

Das Desaster von Denver

Bis heute schauen Obamas Berater entgeistert auf dieses Datum. Im ersten TV-Duell sahen sie einen hoffnungslos überforderten Präsidenten, der gegen seinen gut aufgelegten Herausforderer Mitt Romney unterging. Am meisten irritierte das Team dabei wohl, dass Obama mit der festen Überzeugung aus dem Studio kam, dass er vor den Kameras gerade einen guten Job gemacht und sogar besser als Romney abgeschnitten hatte. So zumindest berichteten es später einige Medien.

Die an einen Geisterfahrer erinnernde Fehleinschätzung seiner selbst hatte zwei Effekte mit Langzeitwirkung. Zum einen wurde Obama zum Sinnbild des entfremdeten Präsidenten. Fortan musste er sich gegen den Eindruck wehren, er habe den Kontakt zur Wirklichkeit verloren. Schon zuvor hieß es immer wieder, er habe sich im Oval Office wie in einem Kokon eingeigelt, lasse nur noch engste Vertraute an sich heran, erweise sich als beratungsresistent und verweigere beleidigt jeglichen Kontakt zu den Republikanern. Der Stillstand in Amerika, so die Botschaft, ist auch ein Kind Obamas.

Die zweite Wirkung spiegelte sich umgehend in den Umfragen wider. Der Vorsprung auf Romney schmolz dahin wie der Schnee in der Sonne. Auch in den folgenden TV-Duellen gelang es dem wesentlich aggressiveren Obama nicht mehr, diese Scharte auszuwetzen. Die Wahl am 6. November – sie sollte tatsächlich zum Showdown werden.

Dienstag, 6. November

"Four more years"

Der Tag der Entscheidung. Um 22.16 Uhr nach Chicagoer Zeit verkündet Obama seinen Sieg über Twitter. "Four more years" heißt es darin, dazu ist ein Foto von ihm und seiner Frau in inniger Umarmung zu sehen. Eine übermüdete Helferin aus Obamas Online-Team hatte den Tweet in die Welt gesetzt, der in wenigen Stunden alle Rekorde brechen würde.

So knapp alle Prognosen das Rennen erwarteten, so überraschend eindeutig gewinnt am Ende Obama. Im Laufe der Nacht geht ein Swing State nach dem anderen an ihn. Schon früher als erwartet ist die Sache gelaufen. Nur Mitt Romney wartet noch anderthalb Stunden länger auf das Wunder, bis er seine Niederlage eingesteht.

"Das Beste kommt noch", ruft Obama in der Nacht zum Mittwoch Tausenden Anhängern bei der Wahlfeier in seiner Heimatstadt Chicago zu. Manche Beobachter werden seine Rede später als eine seiner besten bewerten. Obama zeigt sich drin als geläuterter Präsident, der dazugelernt habe. Leidenschaftlich beschwört er den amerikanischen Traum und die Versöhnung der Nation. "Wir bleiben mehr als nur eine Ansammlung von roten und blauen Staaten, wir sind und werden für alle Zeiten die Vereinigten Staaten von Amerika bleiben", sagt er. Obama weiß, dass die meisten Amerikaner die zermürbenden Grabenkämpfe leid sind.

Sonntag, 17. Dezember

"We will have to change"

Doch schon wenige Wochen nach seiner Wiederwahl steht Barack Obama unversehens vor der Kluft, die Amerika teilt. Es geht um das in der Verfassung verankerte Recht, Waffen tragen zu dürfen. Bei einem Amoklauf in dem Städtchen Newton tötete ein Amokschützen mit einem Sturmgewehr 20 kleine Kinder. Bereits zum vierten Mal muss Obama nach einer solchen Tragödie den Angehörigen Trost zusprechen.

Ihm, dem Vater zweier Töchter, ist anzusehen, wie es in ihm wühlt. Obama wirkt erschüttert, aber auch zornig. In Newtown kündigt er kaum verklausuliert eine Verschärfung des Waffenrechts an. "Diese Tragödien müssen enden, und um sie zu beenden, müssen wir uns ändern", sagt Obama in seiner Trauerrede.

Doch auch in dieser Frage ist Amerika gespalten. Im Wahlkampf hatte Obama das Thema Waffenrecht gescheut, eine knappe Mehrheit der Amerikaner votierte in Umfragen gegen schärfere Gesetze. Mit dem Amoklauf von Newtown könnte sich die Stimmung jedoch drehen. Doch der Widerstand der Waffenlobby, ist sicher, sie weiß Millionen Amerikaner auf ihrer Seite. Aber Obama wirkt entschlossen, sich auch gegen Widerstände durchsetzen zu wollen.

Es geht um sein politisches Erbe.

(pst)
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