Wir entlarven Humbug Wurde das Virus im Labor gezüchtet - als Biowaffe?

Serie | Düsseldorf · Sie hält sich hartnäckig: Die Verschwörungstheorie, nach der das Coronavirus absichtlich im Labor erzeugt wurde – oft wird sie zusätzlich in Verbindung mit Biowaffen gebracht. Doch wie ist diese Geschichte überhaupt entstanden, und was ist dran?

 In aktuellen Verschwörungsbehauptungen um das Coronavirus ist oft von dessen beabsichtiger Herstellung im Labor die Rede.

In aktuellen Verschwörungsbehauptungen um das Coronavirus ist oft von dessen beabsichtiger Herstellung im Labor die Rede.

Foto: dpa/Sakchai Lalit

Bereits kurz nach seinem Ausbruch wurde das Coronavirus mit Gerüchten über Biowaffen in Verbindung gebracht. Unsere Redaktion hat mit Gunnar Jeremias, dem Leiter der Interdisziplinären Forschungsgruppe zur Analyse biologischer Risiken an der Universität Hamburg, über die Theorie gesprochen.

Was wird behauptet?

Man hört es immer wieder: Das Coronavirus sei kein natürliches Virus und die Atemwegserkrankung Covid-19 demnach keine „normale“ Krankheit – nein, das Virus sei vorsätzlich in einem Labor gezüchtet worden. Und das ist noch nicht alles: Es sei hergestellt worden, um zukünftig als Biowaffe eingesetzt zu werden. Oft wird in diesem Kontext ein Hochsicherheitslabor in der chinesischen Metropole Wuhan genannt, manchmal ist aber auch von einem nicht näher definierten Labor in den USA die Rede.

Woher kommt der Humbug?

Als eine der ersten verbreitete die britische Boulevardzeitung „Daily Mail“ Ende Januar einen Bericht über den angeblichen Zusammenhang zwischen dem Coronavirus und einem Forschungslabor in Wuhan, das zum dort ansässigen Institut für Virologie gehört. Die Autorin beruft sich dabei auf einen Artikel der britischen Fachzeitschrift „Nature“ von 2017, in dem mehrere Wissenschaftler Sicherheitsbedenken in Bezug auf das Hochsicherheitslabor in Wuhan geäußert hatten. Das stand damals kurz vor seiner Öffnung und einer der Wissenschaftler, Tim Trevan, sagte, eine solche Einrichtung bedürfe einer offenen Kultur mit flachen Hierarchien und transparenter Information – Gegebenheiten, die man weder damals noch heute mit China assoziiert. Es ging den Wissenschaftlern also um die grundlegende Frage, welche Risiken ein solches Labor in China birgt. Diese Bedenken wurden im Januar in der „Daily Mail“ mit dem Coronavirus in Verbindung gebracht – aus ihrem eigentlichen Kontext gerissen und ohne ein aktuelles Statement der zitierten Wissenschaftler.

Kurz darauf titelte die „Washington Times“, ebenfalls ein Boulevardblatt: „Coronavirus könnte mit Verbindung zu Chinas Biowaffenprogramm in Labor entstanden sein“. Obwohl diese These bereits drei Tage später in der „Washington Post“, einer seriösen US-amerikanischen Tageszeitung, als Verschwörungstheorie entlarvt wurde, hält sie sich bis heute. Die „Washington Post“ hat sich übrigens die Mühe gemacht, neben einigen anderen Wissenschaftlern auch Tim Trevan zu befragen – eben jener Experte, mit dessen Zitaten die „Daily Mail“ versucht hatte, die Corona-Labor-Theorie plausibel zu machen. Letztere wies er, wie sämtliche anderen befragten Wissenschaftler, entschieden zurück.

Auch die chinesische Regierung wies die Vorwürfe zurück – und holte zum Gegenschlag aus: Zhao Lijian, stellvertretender Leiter der Informationsabteilung des chinesischen Außenministeriums, twitterte Mitte März: „Das Coronavirus könnte vom US-Militär eingeschleppt worden sein.“

Wie verbreitet ist der Humbug?

Allein die Thematisierung in den britischen und amerikanischen Medien zeigt die globale Verbreitung. Auch in Frankreich zählt sie zu den meist verbreiteten Corona-Verschwörungstheorien. In Deutschland, wo die Ausbreitung des Coronavirus bisher verhältnismäßig glimpflich verläuft, haben andere Theorien wie „Das ist doch alles gar nicht so schlimm und das Virus bloß ein Vorwand zur Einschränkung unserer Rechte“ Vorrang.

Aber auch hierzulande kursiert die Theorie – das bestätigt ein Blick auf die Zahl der deutschlandweiten Google-Treffer: Die Stichworte „Coronavirus + Labor“ führen zu rund neun Millionen Ergebnissen, „Coronavirus“ in Kombination mit „Biowaffe“ zu mehr als 60.000. Alle drei Begriffe zusammen erreichen 15.000 Treffer (Stand 10. Juli 2020). Besonders der Labor-Part der Geschichte erfreut sich also offensichtlich besonderen Interesses.

Was ist dran?

Tatsächlich wird in dem Hochsicherheitslabor in Wuhan an Coronaviren bei Fledermäusen geforscht. Und ja, es gab Kritik an diesem Labor: Wie die „Washington Post“ am 14. April mitteilte, hätten US-Experten nach einem Besuch der Forschungseinrichtung in Wuhan im Januar 2018 über Sicherheitsmängel berichtet. Die Sorge ist nicht unbegründet, da es 2004 in Peking zu gleich zwei „Laborausbrüchen“ gekommen war: Zwei Mitarbeiter hatten sich unabhängig voneinander mit dem Sars-Coronavirus infiziert und die Erreger nach draußen getragen.

Auch die Frage nach dem Ursprung des Coronavirus ist bislang nicht abschließend geklärt. Aber: Für die These der künstlichen Herstellung fehlt nicht nur jede wissenschaftliche Grundlage, vielmehr legten Forscher bereits im Februar Gegenteiliges nahe. Die medizinische Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlichte ein Statement, in dem sich knapp 30 internationale Wissenschaftler überzeugt zeigten, dass das Virus natürlichen Ursprungs sei. Im März folgten die Ergebnisse einer umfangreichen Studie, bei der eine Forschergruppe um den Biologen Kristian Andersen analysierte, ob das Virus künstlich hergestellt wurde. Die klare Antwort: Das Coronavirus sei kein Labor-Konstrukt, alles deute auf einen natürlichen Ursprung hin.

Dadurch ist auch das vermeintliche Ziel, das Virus als eine Art Biowaffe einzusetzen, unplausibel. Trotzdem ist das ein Thema, das viele Menschen verunsichert. Anfang April warnte UN-Generalsekretär Antonio Guterres, die durch die Pandemie offengelegten Schwächen ließen erahnen, wie ein bioterroristischer Angriff aussehen könnte.

Was sagen Experten?

 Politikwissenschaftler Gunnar Jeremias leitet die Interdisziplinäre Forschungsgruppe zur Analyse biologischer Risiken an der Universität Hamburg.

Politikwissenschaftler Gunnar Jeremias leitet die Interdisziplinäre Forschungsgruppe zur Analyse biologischer Risiken an der Universität Hamburg.

Foto: privat

Gunnar Jeremias, Leiter der Interdisziplinären Forschungsgruppe zur Analyse biologischer Risiken an der Universität Hamburg, ist nicht überrascht von der Verschwörungstheorie. „Bei schwerwiegenden biologischen Ereignissen haben sich immer wieder Verschwörungsnarrative entwickelt, das reicht bis ins Mittelalter zurück“, erklärt der Politikwissenschaftler. Biowaffen böten sich für Verschwörungstheorien an, da viele Menschen sie mit etwas nicht Greifbarem, Unheimlichem verbinden. Doch wie hoch ist die Gefahr, die von Biowaffen ausgeht, und käme ein Virus dafür überhaupt in Frage?

„Ein Virus als Biowaffe einzusetzen ist nicht sehr wahrscheinlich“, sagt Jeremias, „dazu verbreitet es sich viel zu unkontrolliert.“ Eine generelle Gefahr durch Biowaffen bestehe jedoch durchaus. „Die Technologien schreiten voran und es wird diskutiert: Wie kann man das regulieren?“ Denn es gibt zwar einen völkerrechtlichen Vertrag zur Abrüstung von Biowaffen, der bereits 1972 geschlossen wurde. „Anders als bei Atom- oder Chemiewaffen gibt es dabei aber keinen Überprüfungsmechanismus“, so Jeremias. Besonders Experimente, bei denen Eigenschaften von Erregern im Labor verändert werden, sind umstritten und bedürfen laut Jeremias einer wachsamen Verfolgung.

Abschließend stellt er klar: „Dass das Coronavirus künstlich in einem Labor hergestellt wurde, halte ich für Unsinn. Genauso, dass es als Biowaffe eingesetzt werden soll.“ Dass es jedoch durch die Forschung im Labor nach draußen getragen worden sein könnte, sei theoretisch denkbar – ebenso aber auch die Möglichkeit, dass sich Menschen außerhalb des Labors infiziert haben könnten.

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