„Humbug“ Werden Föten für die Impfstoff-Forschung abgetrieben?

Serie | Düsseldorf · Abgetriebene Föten sind Inhalte von Impfstoffen, behaupten einige Seiten im Internet. Was ist da dran? Der neue Teil unserer Serie „Humbug“.

 Werden Föten für die Impfstoffherstellung abgetrieben? Das behaupten manche Impfgegner.

Werden Föten für die Impfstoffherstellung abgetrieben? Das behaupten manche Impfgegner.

Foto: Redaktion NGZ

Selten wurde so viel über Impfstoffe disktutiert wie während der Corona-Krise. Dabei sind sie immer wieder ein Streitthema. So wird behauptet, dass abgetriebene Föten zur Impfstoffherstellung verwendet werden.

Was wird behauptet?

Es klingt makaber: Abgetriebene Föten sollen ein Teil von Impfstoffen sein. Die Website „gesundmagazin.eu“ schreibt, dass Zellen von abgetriebenen Föten in Impfstoffen enthalten seien. „Metropolnews.info“ impliziert, dass in den 60er Jahren mindestens 76 Föten für die Impfstoffherstellung abgetrieben worden seien.

Woher kommt der Humbug?

Das „Gesund-Magazin“ verweist auf ein Dokument des Center for Disease Control and Prevention (CDC), einer Gesundheitsbehörde in den USA. In dem Dokument sind Hilfsstoffe aufgeführt, die zur Impfstoffherstellung benutzt werden. Unter anderem die Zelllinie MRC-5. Das ist eine menschliche Zelllinie. Damit ein Impfstoff funktioniert, ist immer eine menschliche oder tierische Zelllinie (auch Zellkultur genannt) notwendig.

 Ortwin Adams ist Leiter der Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Ortwin Adams ist Leiter der Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Wie verbreitet ist der Humbug?

Das lässt sich nicht genau feststellen. Es gibt aber mehrere Internetseiten, die die Theorie verbreiten. Die Website „Zentrum der Gesundheit“ schreibt unter der Überschrift „Kinderimpfstoffe aus Frankensteins Küche“, dass Kinderimpfstoff-Zutaten Eltern schockieren würden. Auch die Website „Impfen – Nein Danke“ schreibt, dass in Impfstoffen die Zellen abgetriebener Föten seien.

Umfragen legen aber nahe, dass die Behauptung nicht sonderlich verbreitet ist: Eine von der Europäischen Union in Auftrag gegeben Befragungaus dem Jahr 2019 hat untersucht, warum Menschen sich in den vergangen fünf Jahren nicht haben impfen lassen. Das Ergebnis: Keiner der Befragten nannte fragwürdige Inhaltsstoffe als Grund für die Nicht-Impfung. Lediglich fünf Prozent der Deutschen gaben „andere Gründe“ an.

Unabhängig davon gibt es immer wieder ethische Diskussionen, ob es in Ordnung ist, Zellkulturen abgetriebener Föten zu verwenden. Vor allem in der katholischen Kirche. Auch in der Corona-Krise wurde das Thema wieder aktuell: Für den Impfstoff der schwedisch-britischen Firma AstraZeneca, den das Unternehmen zusammen mit der Universität Oxford entwickelt, wurde unter anderem die Zelllinie HEK-293 benutzt. Diese geht auf Nierenzellen eines in den 70er Jahren abgetriebenen Mädchens zurück. Bischöfe aus Australien und Großbritannien äußerten ihre Bedenken und forderten einen „ethisch unumstrittenen“ Impfstoff.

Was ist dran?

Die Debatte in der Kirche und die menschliche Zellline MRC-5 zeigen: Dass es Impfstoffe gibt, die mit abgetriebenen Föten zu tun haben, ist nicht falsch. Aber die Behauptung, dass Föten Inhalte von Impfstoffen sind, ist sehr verkürzt. „Tatsächlich gibt es zwei Zelllinien aus den 60er Jahren, die von zwei abgetriebenen Föten stammen und für Impfstoffe verwendet werden“, sagt Ortwin Adams, Leiter der Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Das Paul-Ehrlich-Institut, das deutsche Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, teilt auf Anfrage mit, dass es nicht so sei, „dass immer wieder neue Föten benötigt werden, um Impfstoffe produzieren zu können. Und es wurde niemals ein Fötus mit dem Ziel abgetrieben, als Ausgangsmaterial für die Impfstoffproduktion zu dienen.“ Vielmehr werden seit den 60er-Jahren die Zelllinien zweier abgetriebener Föten immer wieder reproduziert und eingefroren. Genauer handelt es sich um die Zellinien WI-38 und MRC-5. MRC-5 wird für die Herstellung von Impstoffen gegen Masern und Röteln verwendet. Durch den Corona-Impfstoff von AstraZeneca kam noch die Linie Hek-238 hinzu.

Der „Humbug“ hat also durchaus Berührungspunkte mit der wissenschaftlichen Realität, wird aber von vielen Impfgegnern falsch oder übertrieben dargestellt.

Und es gibt zwei Ebenen: Einmal die tatsächliche gesellschaftliche Diskussion, weil die Grundannahme, dass Zelllinien von abgetriebenen Föten zur Impfstoffherstellung benutzt werden, nicht falsch ist – und somit auch keine Verschwörungstheorie. Die zweite Ebene sind die falschen Theorien, die im Internet verbreitet werden. Zum Beispiel, dass man Föten extra für die Impfstoffherstellung töten würde.

Was sagen die Experten?

„Dass man absichtlich Föten für einen Impfstoff tötet, stimmt sicher nicht. Das ist Humbug“, sagt Virologe Adams. Darauf weist auch das Paul-Ehrlich-Institut hin. Und stellt klar: „Für die Herstellung von Impfstoffen wird also kein Gewebe von erneut abgetriebenen Föten eingesetzt.“ Vielmehr werde bei der Impfstoffherstellung immer wieder auf die bereits erwähnten Zelllinien zurückgegriffen. Deswegen werden diese „kontinuierlich vermehrt und eingefroren“, so das Paul-Ehrlich-Institut.

Ortwin Adams sieht das alles auch nicht als ethisches Problem, sondern als Zeichen des Fortschrittes. „Damit sind viele Menschenleben gerettet worden. Wir hätten sonst vielleicht eine viel höhere Sterblichkeit“, sagt Adams.

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