Putin traf erstmals nach Unglück der "Kursk" die Angehörigen Hinterbliebene: Regierung für Tod der Seeleute verantwortlich

Moskau (dpa). Eine Gruppe von Hinterbliebenen hat die russische Führung für den Tod der 118 Matrosen in dem gesunkenen Atom-U-Boot "Kursk" verantwortlich gemacht. „Drei Tage lang wurde alles verschwiegen“, sagte eine Frau dem Fernsehsender ORT am Dienstag in Murmansk. "Und wenn die Rettungsarbeiten gleich mit Hilfe ausländischer Spezialisten begonnen hätten, wären viele Jungs schon zu Hause."

Die Aufnahmen wurden zu einer Zeit ausgestrahlt, zu der sich der russische Präsident Wladimir Putin in Widjajewo, dem Heimathafen der „Kursk“, mit den Familien traf. Bilder dieses Treffens gab es zunächst nicht.

Eine zweite Frau beklagte in dem ORT-Interview: „Es ist viel einfacher, eine Staatstrauer anzuordnen und am nächsten Tag alles zu vergessen. Aber das Leid in unseren Herzen wird für immer bleiben. Wer wird meinen Kindern den Vater ersetzen?“ Putin hat für Mittwoch in ganz Russland Staatstrauer angeordnet.

Die Frauen waren eigens zu den Aufnahmen nach Murmansk gekommen, weil Widjajewo militärisches Sperrgebiet ist. Bislang durfte dort nur der staatliche russische Sender RTR drehen. Die meisten Besatzungsmitglieder lebten mit ihren Familien in Widjajewo. Dort haben sich auch die Hinterbliebenen aus anderen russischen Städten versammelt.

Nach Berichten des Fernsehsenders RTR sagte Vize-Regierungschef Ilja Klebanow den Hinterbliebenen zu: "Alle Toten werden geborgen." Einige der aufgebrachten und verzweifelten Menschen weigerten sich, an den Tod ihrer Männer, Väter und Söhne in der am 12. August gesunkenen "Kursk" zu glauben.

Scharping fordert Russland zu verstärkter Abrüstung auf

Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) fordert alsKonsequenz aus der U-Boot-Katastrophe im Nordmeer verstärkte Abrüstungsbemühungen Russlands im atomaren Bereich. Der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "B.Z." (Mittwochausgabe) sagte Scharping: "Wir müssen nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass bei der atomaren Abrüstung mit Russland noch viel zu tun ist und dass dazu nicht nur politische Bereitschaft zur Kooperation, sondern auch Wille zur technischen Kooperation und zum Erfahrungsaustausch gehören."

Unterdessen verließen die zwölf ausländischen Tieftaucher an Bord des Spezialschiffes "Seaway Eagle" die Barentssee. Ihr Unternehmen, die britisch-norwegische Firma Stolt Offshore, erklärte sich jedoch bereit, einen Plan zur Bergung der Leichen auszuarbeiten.

Norweger erwägen Beteiligung an Bergung

Nach einem anfänglichen Nein zu diesem Auftrag wegen zu hoher Risiken erklärte die Firmenleitung in Stavanger, man werde innerhalb von zwei Wochen endgültig entscheiden, ob die Arbeit in 108 Meter Tiefe ausgeführt werden könne. Besonders schwer abzuschätzen sei das Risiko, das von den beiden Atomreaktoren ausgehe.

Unmittelbar nachdem alle Matrosen und Offiziere im Wrack von den russischen Behörden offiziell für tot erklärt worden waren, hatte Moskau Norwegen um Hilfe bei der Bergung der Toten gebeten. Die russische Marine will ständig ein oder zwei Kriegsschiffe über dem Wrack wachen lassen. Die Einstiegsluke der "Kursk" sei wieder geschlossen worden, hieß es.

Auch das Spezialschiff "Normand Pioneer" mit dem britischen Rettungs-U-Boot "LR5", das nicht zum Einsatz gekommen war, verließ den Unglücksort. Zuvor warf die Besatzung nach einer Schweigeminute für die Opfer einen Blumenstrauß in Wasser.

Russlands Verteidigungsminister beharrt auf Zusammenstoß

Unterdessen beharrte der russische Verteidigungsminister Igor Sergejew auf der Vermutung, die "Kursk" sei durch die Kollision mit einem fremden U-Boot gesunken. Er sagte am Montagabend im Fernsehen, neben der "Kursk" sei am Tag nach dem Untergang ein zweites "ähnlich großes" Objekt geortet worden. Es sei jedoch wieder verschwunden, bevor es identifiziert werden konnte. London und Washington haben die Vermutung einer Kollision mehrfach zurückgewiesen.

Auch der Oberkommandierende der norwegischen Nordstreitkräfte, Einar Skorgen, nannte dies "interne russische Propaganda". Stabssprecher Kjell Grandhagen erklärte in der Zeitung "Dagbladet", nach Messungen seismologischer Institute wie auch durch Beobachtungen des in der Barentssee stationierten norwegischen Überwachungsschiffs "Marjata" sei als sicher anzusehen, dass es am 12. August zwei Explosionen an Bord der "Kursk" gegeben habe. Die erste und kleinere sei durch ein Waffensystem an Bord ausgelöst worden, sie habe dann wahrscheinlich die zweite und größere verursacht.

Die russische Regierung hat die Bergung des gesamten Wracks angekündigt und will in zwei Wochen ein erstes Projekt erörtern. Die Hebung des 18 000 Tonnen schweren Bootes sei jedoch nur mit ausländischer Hilfe möglich, hieß es. Experten hatten gewarnt, dass das mit Wasser gefüllte Wrack bei einem Bergungsversuch auseinanderbrechen könnte.

Waren sogar 130 Menschen an Bord?

Der russische Flottenstab hat am Dienstag einen Zeitungsbericht dementiert, wonach sich an Bord des Atom-U-Bootes "Kursk" 130 Menschen befunden hätten. An Bord seien nur 118 Mann Besatzung gewesen, zitierte die Nachrichtenagentur Interfax den Sprecher des russischen Flottenstabs, Igor Dygalo. Zur Besatzung hätten mehrere Vertreter des Flottenverbands sowie ein ziviler Experte gehört.

Die Moskauer Tageszeitung "Komsomolskaja Prawda" hatte in ihrer Dienstagsausgabe vermutet, die "Kursk" sei zusätzlich mit zwölf ranghohen Offizieren und zivilen Spezialisten zu ihrer letzten Fahrt ausgelaufen. In den russischen Medien wurde spekuliert, an Bord der "Kursk" sei eine neue Waffe getestet worden.

(RPO Archiv)
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