Duisburg Hatice Akyün - ein Herz kehrt heim

Duisburg · Sie ist Journalistin, Bestseller-Autorin und Vorzeige-Deutschtürkin. In ihrer Heimatstadt Duisburg las Hatice Akyün aus ihrem neuen Buch "Ich küss dich, Kismet" über ihre gescheiterte Auswanderung in die Türkei.

Diese schmierige Herbstwärme, 17 Grad, 75 Prozent Luftfeuchtigkeit und Nieselregen, ist nix für Hatice Akyüns Haare. Die hat sie am Nachmittag in einem türkischen Friseursalon in Marxloh in Form bringen lassen. Ein Kamerateam des WDR begleitet die Bestseller-Autorin durch den eher berüchtigten als berühmten Stadtteil, in dem die Bestseller-Autorin als das aufwuchs, was ihre erste Identität war: Bergmanns-Tochter.

Nun sitzt sie in der heruntergekommenen Stadtbibliothek an der Düsseldorfer Straße, die demnächst einer Textilkette für Billig-Klamotten weichen soll — und strahlt. Ihr Publikum, überwiegend deutschstämmiger Mittelstand jenseits der 50, strahlt zurück. 1969 in einem kleinen anatolischen Dorf geboren, kam sie 1972 mit ihren Eltern nach Duisburg. Deutsch lernte sie aus Büchern. Der Bücherbus hielt einmal die Woche in Marxloh. Für die Ausleih-Karte fälschte sie die Unterschrift ihres Vaters. Sie las Grimms Märchen und Hanni und Nanni.

Hatice Akyün hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie nach ihrem Empfinden alles, was sie heute ist, dieser Stadt verdankt, deren Image (Mafia-Morde, Rocker-Krieg, Loveparade) zu den miesesten im Ruhrgebiet gehört. Für Hatice Akyün ist diese Stadt Heimat. Hier hat sie die Mittlere Reife gemacht, eine Ausbildung zur Justizangestellten am Amtsgericht und ihre ersten Zeitungstexte geschrieben, bevor sie nach Berlin zog und mit zwei Bestsellern über die deutsch-türkischen Kapriolen ihrer Identitätssuche und ihres Liebeslebens (2005: "Einmal Hans mit scharfer Soße", 2008: "Ali zum Dessert") schnell eine feste Größe im Medien-Zirkus der Hauptstadt wurde.

In Duisburg macht sie nicht die Herkunft, sondern eher ihr schönes, völlig akzentfreies Buch-Deutsch zur Exotin — so spricht hier niemand. Sie könne türkisch fühlen und es auf Deutsch aufschreiben, erzählt Akyün, umgekehrt gehe es übrigens nicht. Deshalb wurde es mit ihr und Amerika nichts. Sie traf auf Muttersprachler, die dümmer waren als sie, aber sie einfach niederquatschten. Akyün: "Eine Sprache sprechen bedeutet, sich wehren zu können." Doch mit der Sarazzin-Debatte, seit der jedes Jahr tausende Deutschtürken mit Hochschulabschluss Deutschland verlassen, kamen ihr Zweifel, ob sich wehren können reicht, um ein Zuhause zu haben.

Hatice Akyüns neues Buch "Ich küss dich, Kismet" erzählt davon, wie bei ihr "Kismet", das Schicksal, in Form einer geschenkten Wohnung den Ausschlag gab, Deutschland versuchsweise den Rücken zu kehren — und was in dem halben Jahr passierte, in dem sie in Istanbul und dem Heimatdorf ihrer Eltern feststellte, dass ihre Auswanderung in die Türkei scheitert. Daran, dass sie einfach zu deutsch für ein dauerhaftes Leben am Bosporus ist. Am Ende der Reise ist sie nicht mehr auf der Suche nach sich selbst, "weil ich jetzt weiß, mich habe ich immer bei mir".

Selten bekommt Deutschland zwischen zwei Buchdeckeln solche Liebeserklärungen: "Deutschland, du wirst mich nicht los. Wenn du glaubst, dass ich in deinen Städten aufwachse, deine Sprache lerne, mich von dir prägen lasse, mich an dir abarbeite, dir Nachwuchs schenke, um dann einfach aufzugeben, hast du dich getäuscht. Und damit du eines Tages so toll wirst, wie du sein könntest, werde ich meinen Teil dazu beitragen."

Den Duisburgern tut solche Zuneigung gut, die sich nicht hinter Distanz und ironischer Brechung verschanzt. Gleich zu Beginn der Lesung werden viele Augen feucht. Tief bewegt begrüßt Hatice Akyün den früheren Duisburger Oberbürgermeister Jupp Krings. Und erzählt aufgeregt, wie sie als junges Mädchen dank ihm begann, sich für Politik zu interessieren. Dass sie wegen seines Vorbilds als Jugendliche begeistert Schnittchen und Kaffee zu den streikenden Krupp-Arbeitern auf die Brücke der Solidarität getragen hat.

Krings steht ergriffen auf, geht zu ihr ans Podium und schüttelt ihr die Hand. Am Ende des Abends heult Hatice Akyün Rotz und Wasser. Eine Schulfreundin hat sich in die lange Reihe derer gestellt, die sich das neue Buch signieren lassen. Akyün liest in einem alten Poesiealbum plötzlich ihre Kinderschrift: "Liebe Sabine! So wie der Glanz der Sterne, / so blühe stets Dein Glück. / Denk auch in weiter Ferne / recht oft an mich zurück." Herzstadt Duisburg. Mehr Heimat kann niemand haben.

(RP)
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