Gruppenvergewaltigungen im Ruhrgebiet „Wir spielen jetzt ein Spiel“

Eine Gruppe junger Männer soll im Ruhrgebiet sieben Mädchen zum Sex gezwungen haben. Am ersten Prozesstag in Essen legte ein 20-Jähriger ein Geständnis ab. Doch Verantwortung für die Taten übernimmt er nicht.

Essen: Prozess um Gruppen-Vergewaltigungen im Ruhrgebiet
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Prozess um Gruppen-Vergewaltigungen im Ruhrgebiet

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Foto: dpa/Marcel Kusch

Die Kapuzen tief in der Stirn, die Jacken hochgezogen bis über die Augen. So tasten sich vier junge Männer in Saal 101 des Essener Landgerichts Schritt für Schritt vor zu ihren Plätzen. Die Kameras der Fotografen klicken. Nur einer verbirgt sein Gesicht nicht: Es ist der 18-jährige Dean L., nach dem die Polizei im Februar bundesweit mit Foto gefahndet hatte. „Jeder kennt sein Gesicht“, wird ein Verwandter später auf dem Flur sagen und sich über die Fahndung ärgern. L. trägt ein blütenweißes Hemd, eine Undercut-Frisur, immer wieder streicht er sich eine dunkle Locke aus der Stirn. Das Foto von dem ernst blickenden Jungen mit dem Schalke-Trikot ist zum Gesicht eines Falls geworden, der weit über die abgelegenen Tatorte im Ruhrgebiet hinaus Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.

Mindestens sieben Mädchen sollen die fünf Angeklagten zwischen Sommer 2016 und Januar dieses Jahres gemeinsam zum Sex genötigt haben. In drei dieser Fälle scheiterten sie laut Anklage an der Gegenwehr der Mädchen. Alle Opfer sind sehr jung, 16 Jahre alt, Schülerinnen. Die Opfer kannten jeweils mindestens einen der Männer vor der Tat.

Einer der mutmaßlichen Täter ist gerade mal 17, die anderen zwischen 18 und 24 Jahre alt. Sie haben deutsche Pässe, stammen aus Essen, Gelsenkirchen und Wuppertal. Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass die Taten immer nach dem gleichen Muster abliefen: In unterschiedlicher Konstellation sollen sie die Mädchen mit dem Auto abgeholt haben, unter einem Vorwand nahmen sie ihnen die Handys ab, dann ging es an den Stadtrand Essens.

Im Wald oder auf einem Feld erfuhren die Mädchen dann laut Anklage, was die jungen Männer mit ihnen vorhatten: „Wir spielen jetzt ein Spiel, zieh dich doch mal aus“, hieß es. Oder: „Entweder du machst das jetzt oder ich schlage dich kaputt.“ Auf dem Rücksitz des Autos, einmal auch in einem Hotel taten die jungen Frauen dann, was von ihnen verlangt wurde. Jeweils vier Täter sollen sie nacheinander zum Sex gezwungen haben. Dann bekamen sie ihre Handys zurück und wurden nach Hause gefahren.

Joshua E. macht an diesem ersten Prozesstag den Anfang. Der 20-Jährige will reden, ein Geständnis ablegen. Erst lässt er seinen Verteidiger sagen: „Ich stehe zu allen Taten und will mich bei den Opfern entschuldigen für mein Verhalten.“ Er schäme sich. Doch als er mit leiser, fast sanfter Stimme erzählt, was genau passiert ist, lässt er seine eigene Verantwortung doch eher in den Hintergrund rücken. Er habe die Mädchen etwa immer „nett gefragt“, ob sie „Geschlechtsverkehr“ mit ihm haben wollten und sie nie dazu gezwungen. Einmal habe er einer Schülerin beim Abschied einen Geldschein gegeben, weil sie nichts mehr hatte. Sie habe ihm dann noch einen Kuss gegeben, als er sie darum gebeten hatte, man habe sogar Nummern ausgetauscht. E. belastet vor allem den jüngsten Angeklagten schwer, der als einziger auf freiem Fuß ist, weil er erst 17 ist. Dessen Anwälte hatten zu Beginn der Verhandlung versucht, die Öffentlichkeit ausschließen zu lassen – „um seine künftige Entwicklung nicht zu gefährden“. Die Kammer lehnte den Antrag ab.

Joshua E. sagt, der Jüngste von ihnen habe die WhatsApp-Gruppe „Spinnen GE“ gegründet, in der die Ermittler Hunderte Chats sicherten, in denen die Taten geplant worden sein sollen. Hinterher sollen sich die Angeklagten in der Gruppe über die Mädchen lustig gemacht und sie verhöhnt haben: „Du hast was verpasst, Bruder.“

Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters sagt E., die Gruppe trage den Namen, weil sie alle so dünn seien, Beine wie Spinnen hätten. „Mädchen besorgt hab ich nie“, sagt er. Der 17-Jährige und Gianni H., 20 Jahre alt, hätten „alles geplant“. „Sie haben Dean gesagt, er soll Mädchen besorgen, der hat das eingefädelt.“ Der Jüngste sei der Boss gewesen. „Ich wollte einfach nur mit dabei sein, fand das aber nicht gut.“ Fast alle Angeklagten stammten aus Sinti-Familien. „Da kennt man sich untereinander, schon lange.“

Laut Anklage war Joshua E. in sechs der sieben Fälle dabei. Er behauptet, den Sex sofort abgebrochen zu haben, als er gemerkt habe, dass eines der Mädchen „nicht richtig wollte“. Ganz nebenbei lässt er einfließen, dass ein Mädchen ihm gesagt habe, er habe so schöne Wimpern. Oder ein anderes, dass er „voll hübsch“ sei. „Ich hab die nie falsch angefasst.“ Ihm sei es egal gewesen, ob er Sex mit den Mädchen hatte, er „wollte nur mit den Jungs unterwegs sein.“

Der Vorsitzende fragt nach, ob er sich denn mal gefragt habe, ob die Mädchen in der Situation – nachts im Wald, ohne Handy, umringt von vier Männern – vielleicht nicht freiwillig getan hätten, was man von ihnen verlangt habe. Ja, schon, sagt E. Aber einem Mädchen habe er versprochen, es nach Hause zu fahren, wenn sie mit ihm schlafe. Und das habe er dann auch getan. Eine der Schülerinnen habe „richtig geweint, nicht so wie die anderen Mädchen“, sagt er. Sie sei dann ohne Handy im Wald ausgestiegen, bevor irgendetwas passiert sei. Der 17-Jährige sei ihr nachgegangen. „Er kam dann zurück und meinte: Sie hat gesagt, sie besorgt uns ein anderes Mädchen.“ Dafür müssten die Jungs sie aber in Ruhe lassen. Man habe die Freundin abgeholt, das andere Mädchen sei nach Hause gegangen. Laut Anklage glaubte das zweite Mädchen an einen Scherz, als der 17-Jährige ihr sagte, dass sie erst gehen dürfe, wenn sie mit allen Sex gehabt hätte. Doch es war kein Scherz. Gegen ihre Freundin läuft ein eigenes Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zur Vergewaltigung.

Die Ermittler gehen immer noch davon aus, dass es mehr als sieben Opfer gibt, aber auch weitere Täter, die bisher nicht ermittelt werden konnten.

Der Prozess wird am 6. August fortgesetzt.

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