Gift-Gefahr im Cockpit

149 Insassen eines Germanwings-Fluges sind im Dezember 2010 knapp einer Katastrophe entgangen. Kontaminierte Luft war ins Cockpit gelangt und beeinträchtigte die Piloten. Die Airline soll den Vorfall zunächst vertuscht haben.

Köln Zwei Piloten der Lufthansa-Tochter Germanwings haben im Dezember 2010 nur mit Mühe eine Katastrophe verhindert. Sie landeten eine Maschine mit 149 Personen an Bord sicher in Köln, obwohl sie durch giftige Dämpfe im Cockpit stark benommen waren. Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) beschreibt den Vorfall in ihrem jetzt veröffentlichten Zwischenbericht als "schwere Störung". Abgesehen von den Piloten, die vorübergehend ins Krankenhaus mussten, kam dabei niemand zu Schaden. Der Fall wurde gestern durch Veröffentlichungen der Zeitung "Die Welt" und des Senders NDR Info bekannt.

Laut dem Bericht der BFU nahmen die Piloten beim Landeanflug einen "verbrannten und elektrisch-süßlichen" Geruch wahr. Dem Copiloten (26) sei "kotzübel" geworden, seine Arme und Beine hätten sich taub angefühlt, er habe den Eindruck gehabt, nicht mehr klar denken zu können. Der 35-jährige Piloten sei "am Ende seiner Leistungsfähigkeit" gewesen. Beide Piloten zogen sich Sauerstoffmasken auf, danach soll es dem Bericht nach etwas besser geworden sein. Um 21.34 Uhr setzte das Flugzeug "deutlich spürbar" auf der Landebahn auf – die Passagiere hatten von der Notlage nichts bemerkt. Bei ihnen war die Luft in Ordnung. Der Copilot war anschließend sechs Monate lang fluguntauglich.

Medienberichten zufolge soll Germanwings der BFU zunächst wichtige Informationen vorenthalten haben. Sie tauchen in den monatlichen Bulletins nicht auf, wo die Behörde jeden Vorfall dokumentiert. Airline-Sprecher Heinz Joachim Schöttes bestreitet dies: "Wir haben nichts vertuscht, nichts heruntergespielt." Der Pilot habe noch im Cockpit das Meldeformular für die Bundesstelle ausgefüllt. Zudem habe man dem Luftfahrtbundesamt und der BFU alle Informationen sofort zur Verfügung gestellt und dabei den Vorfall selbst als "gravierend" eingestuft. Schöttes betont zudem, dass "jederzeit alles unter Kontrolle" geblieben sei.

Jörg Handwerg, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, fordert unterdessen eine bessere Luftversorgung im Cockpit. Im Fall der Germanwings-Maschine müsse Öldampf in die Kabinenluft gelangt sein, vermutet er. Schöttes schließt Öl als Ursache "weitestgehend aus" und hält "Enteisungsmittel für wahrscheinlicher". Der Airbus musste kurz vor dem Start mit einer Glykol-Lösung besprüht werden, um ihn vor Eis zu schützen. Dabei könnte sich eine Restmenge der Flüssigkeit in den Triebwerken festgesetzt haben, aus denen die Kabinenluft abgezapft wird.

Auf die Frage, warum das Ganze erst jetzt mit bald zweijähriger Verspätung herauskomme, sagt Cockpit-Sprecher Handwerg: "Es ist sicherlich nicht im Interesse der Industrie und nicht im Interesse der deutschen Politik, dass dieser Vorgang überhaupt an die Öffentlichkeit geraten ist."

Aus den Monatsberichten der BFU geht hervor, dass nahezu monatlich eine von Deutschland aus fliegende Linie eine Störung durch Ölgeruch in der Kabinenluft meldet. Dieses Thema stand gestern auch im Bundestag auf der Tagesordnung. SPD und Grüne scheiterten jedoch mit Anträgen, die Bundesregierung solle Probleme mit Giftanteilen in der Kabinenluft erforschen und Vorkehrungen veranlassen, die Kontamination zu unterbinden. Der aktuelle Fall zeige den dringenden Handlungsbedarf. Der Bundestagsabgeordnete Markus Tressel (Grüne) forderte: "Wir müssen langfristig die Luft für die Kabinen woanders als in den Triebwerken abzapfen."

(RP)
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