Sido im Interview „Rapper sind die neuen Boybands“

Exklusiv | Berlin · Sido war Anfang der 2000er Jahre einer der erfolgreichsten Musiker Deutschlands. Mehr als 3,2 Millionen Tonträger hat der Berliner Rapper verkauft. Nun sucht er als Jury-Mitglied Musiker mit dem „X-Factor“. Im Interview spricht er über die neue Sendung, Campino, Kollegah und wann er aufhören will.

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Die Karriere von Rapper Sido in Bildern

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Foto: Ilgner Detlef (ilg)/Ilgner,Detlef (ilg)

Kann ein Rap-Star in Würde altern?

Sido Es kommt darauf an, wer das betrachtet. Für die jungen Leute ist meine Musik zu soft, das ganze Drumherum zu brav. Ich war noch nie ein Skandal-Rapper. Heute werden HipHop-Stars vor allem vermarktet über den „Diss“, den sie gegenüber anderen Stars formulieren. Man muss sich über jemanden lustig machen, jemanden beschimpfen. Da machen wir halt nicht mit. Ich bin erwachsen geworden. Und ich will authentisch sein. Ich fange jetzt keinen Battle mit einem Rap-Kollegen an, weil sich dann meine Platte besser verkauft.

Eine solche Haltung ist schlecht für die Verkäufe.

Sido Ich bin zufrieden. Meine Fans sind ja mit mir gewachsen. Ich mache heute die Musik, die zu mir passt. Jede Platte spiegelt meine Lebensphase wider. Ich bin kein perspektivloser Heranwachsender mehr, wie damals bei AggroBerlin (deutsches HipHop-Label, Anm. d. Red.). Das bin ich nicht mehr. Natürlich ist meine Musik nicht mehr so frech, so streitbar wie früher. Aber sie ist gut. Ich finde sie besser als je zuvor. Ich kann meine erste Platte gar nicht mehr hören.

Dein aktuelles Album „Royal Bunker“ hast du mit Kool Savas aufgenommen, mit dem du früher in der gleichnamigen Berliner Kellerkneipe gerappt hast. Ihr geht jetzt auf Tour. Ein Kritiker hat euren Sound als „netten Mainstream“ beschrieben.

Sido Der Anspruch an meine Musik ist, dass sie authentisch ist. Ich will niemandem etwas vormachen. Meine Musik ist, was ich bin. Mein Rap ist erwachsen geworden, er ist anders und die Klientel ist anders. Aber es ist immer noch guter Rap. Mich verbindet mit Savas die gemeinsame Herkunft Berlin. Es macht Spaß, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Wer war denn früher dein Vorbild?

Sido Ich fand Moses P. großartig. Das Rödelheim Hartreim Projekt war eine sehr starke Gruppe.

Rap ist heute mehr denn je ein Jugendphänomen. Rapper wie Capital Bra haben 50 Millionen Fans bei Youtube.

Sido Rap ist jung geworden, das stimmt. Was früher Boybands waren, sind heute Rapper. Wenn früher Backstreet Boys auf dem Cover der „Bravo“ waren, wären es heute Kollegah oder Capital Bra. Rap ist die angesagteste Musikrichtung in diesem Land. Rap ist heute die Popkultur, weil es so jung ist und weil die jungen Leute die musikalischen Trends und Hypes bestimmen. Die großen Stars kommen vom Schulhof. Ich war ja auch so einer. Ich bin jetzt 40 Jahre alt und mit meiner Musik aus dieser Szene rausgewachsen. Rap ist heute vielschichtig. Es gibt ältere Typen wie mich, Legenden wie Fanta 4, poppigen Mainstream-HipHop wie den von Marteria. Und es gibt den rauen Rap von der Straße. Den mögen die jungen Leute am liebsten. Aber insgesamt ist Rap in allen Schichten und Altersgruppen angekommen.

Wird zu viel Hype um Rapper wie Kollegah gemacht, die nach der Echo-Verleihung wegen Antisemitismus-Vorwürfen scharf kritisiert wurden?

Sido Ihr seid denen doch auf den Leim gegangen. Keiner von denen will einem Auschwitz-Opfer zu nahe treten. Das war ein blöder Witz. Bei einem Komiker hätte es wahrscheinlich keine Debatte gegeben. Aber bei einem Rapper passt es in das Bild des Skandal-Musikers. Schade finde ich, dass ausgerechnet jemand wie Campino in seiner Reaktion zwischen den Zeilen nach Zensur ruft. Ein Rocker, der Frontmann der Toten Hosen, das geht doch gar nicht. Das hat mich sehr enttäuscht. Am Ende war es ein PR-Erfolg für Kollegah. Die haben viele Platten verkauft. Trotzdem war es gut, denn jetzt ist wenigstens der Echo vorbei.

Warum?

Sido Diese Langweile-Party braucht kein Mensch. Das war ja nie eine Veranstaltung für die Fans, sondern für die beteiligten Sender oder die Branchenvertreter.

Was muss ein Star heute machen, um erfolgreich zu sein?

Sido Am besten den ganzen Tag online sein. Alles posten, was das Leben hergibt. Intime Details preisgeben. Facebook, Instagram, Snapchat. Influencer einladen und diese Leute hinter den Kulissen irgendeinen Quatsch drehen lassen. Ich mache das alles nicht, deswegen habe ich auch so wenige Instagram-Follower. Junge Fans bekomme ich nicht mehr.

Journalisten gehören auch nicht gerade zu deinen Lieblingen?

Sido Es gibt zu viele Selbstdarsteller bei euch. Zu viele, die ihre Meinung ihren Lesern aufoktroyieren, die auftreten als gehörte ihnen die Welt.

Du meinst wie bei euch Rappern?

Sido Im Ernst. Viele Journalisten sind keine Journalisten. Die berichten nicht mehr, die geben ihre Meinung kund. Da werden Kampagnen über Banalitäten gemacht, manche treten auf, als seien sie der Boss. Das nervt. Ich mache nur noch ausgewählte Sachen.

Was denkt eigentlich dein 18-jähriger Sohn über deine früheren Texte, zum Beispiel den „Arschficksong“?

Sido Ich hätte ihm das nicht freiwillig vorgespielt, aber es kommt dann der Tag, an dem er das ohnehin selbst gehört hätte. Der versteht das heute natürlich, warum ich das damals gemacht habe. Er hört aber meine Musik nur, weil er mein Sohn ist. Keiner in seiner Klasse hört meine Musik. Er mag HipHop, aber eben die jungen, harten Sachen.

Ist deine Musikerkarriere beendet, wenn du jetzt schon wieder Casting-Jury machen musst?

Sido Hey! Ich bin schon das vierte Mal Jury-Mitglied. Ich war schon zwei Mal in Österreich und ein Mal in Deutschland bei „Popstars“ dabei. Aber du hast Recht, das erste Mal als Jury-Mitglied gab einen Einbruch in meiner Kredibilität in der Szene. Einige Fans fragten mich, was das soll. Aber schon damals mussten meine Fans lernen, dass ich ein ziemlicher Sturkopf bin und ich mache, was ich machen will. Ich bin bei Stefan Raab mit einer Bratpfanne eine Bobbahn heruntergefahren, weil ich einfach Bock darauf hatte. Einige Fans meinten, ein Rapper macht so einen Quatsch nicht. So bin ich aber.

Ins Dschungelcamp gehst du aber nicht?

Sido Niemals! Niemals! Aber jetzt habe ich Bock auf „X-Factor“. Klar, es ist eine Casting-Show. Das Besondere am „X-Factor“ ist aber, dass wir einer breiten Palette an Künstlern eine Chance geben: der junge Rapper, aber auch die komplette Rockband. Wir suchen keine bestimmten Typen, sondern geile Künstler.

Wie lange willst du noch Musik machen?

Sido Ein bisschen schon noch. Aber mit 50 kann ich mir nicht vorstellen, noch Musik zu machen. Dann kommt etwas anderes. Vielleicht noch eine Live-Show im Jahr wie Pur auf Schalke.

Würdest du als Jury-Mitglied den jungen Sido auswählen?

Sido Klar, auf jeden Fall.

Was wäre sein „X-Factor“ gewesen?

Sido Der Typ. Die Texte und die Themen der ersten Songs von mir waren auch okay. Aber als Typ passte ich damals genau rein in das, was die jungen Leute haben wollen. Ein Querkopf.

Du arbeitest jetzt auch mit deiner Frau zusammen (Moderatorin der Sendung ist Charlotte Würdig, Anm. d. Red.).

Sido Na klar. Das war ein Grund, warum ich hier mitmache. Ich bin sowieso immer mit Charlotte zusammen. Ich würde sie sonst viel zu sehr vermissen.

Mit Sido sprach Michael Bröcker.

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