"Hart aber fair" - Frank Plasberg diskutiert Flüchtlingspolitik "Wir können nicht ganz Afrika aufnehmen"

Mit heißem Herzen, Gift und Galle diskutieren fünf Gäste bei Frank Plasberg am Montagabend Schuld und Verantwortung nach der Tragödie von Lampedusa. Oftmals geht es unter die Gürtellinie, die Teilnehmer griffen sich mehrfach persönlich an. Zum Ende der Sendung kann der Gastgeber mit Müh und Not eine Eskalation verhindern.

 EU-Parlamentarier Elmar Brok hatte in der Diskussion bei Plasberg einen schweren Stand.

EU-Parlamentarier Elmar Brok hatte in der Diskussion bei Plasberg einen schweren Stand.

Foto: Screenshot Plasberg

Frank Plasberg lud am Montagabend ein unter dem Titel "Tragödie am Strand - etwas Besseres als den Tod bieten wir nicht?" Es ist für TV-Talkshows offenbar zur pathologischen Pflicht geworden, möglichst emotionale Überschriften auszusuchen. Doch in dieser Runde ging es tatsächlich aufwühlend emotional zu. Zwei Welten, zwei Weltansichten, die Typologien Gutmensch gegen Unmensch treffen hier aufeinander.

 UN-Botschafterin Khadra Sufi trieb Roger Köppel mit einer abfälligen Bemerkung zur Weißglut.

UN-Botschafterin Khadra Sufi trieb Roger Köppel mit einer abfälligen Bemerkung zur Weißglut.

Foto: Screenshot WDR

Das Thema alleine ist schon schwer auszuhalten. Seit dem Donnerstag, an dem Hunderte Flüchtlinge vor der rettenden italienischen Küste ums Leben gekommen sind, ist immer wieder von Schande Rede. Im Schicksal der Menschen, die jetzt in den zahllosen Särgen auf Lampedusa aufgebahrt sind, spiegelt sich die Menschenverachtung des europäischen Grenzsystems.

Drei der Gäste kennen die Not

Vor dem Hintergrund des Entsetzens ein vernünftiges Gespräch über mögliche Lösungen zu führen, fiel auch den Gästen bei Plasberg entsprechend schwer. Zumal einige von ihnen schon persönlich die Not und das Elend Afrikas an eigener Haut erfahren haben.

BAP-Legende Wolfgang Niedecken zum Beispiel, der sich seit Jahren für den Kontinent einsetzt oder aber Elias Bierdel, ehemaliger Vorsitzender der Flüchtlingshilfe-Organisation Cap Anamur. Bierdel selbst fischte bereits Verzweifelte aus dem Meer und wurde in Italien anschließend wegen Beihilfe vor Gericht gestellt.

Außerdem ist da noch Khadra Sufi, gebürtige Somalierin und Botschafterin der UN-Flüchtlingshilfe. Von ihr wird noch später die Rede sein. Die nicht eben leichte Rolle der Realisten übernahmen hingegen der CDU-EU-Parlamentarier Elmar Brok und der konservative Schweizer Journalist Roger Köppel. Chefredakteur der "Weltwoche".

Unangenehme Wahrheiten

Die Diskussion wechselt mit hoher Frequenz die Themen. Die nackte Not der Flüchtlinge, Sündenbock Italien und dessen Gesetzgebung, Protektionismus in der EU, Korruption in Afrika, etc. Manchmal wünscht man sich in ein TV-Studio der 80er Jahre zurück, wo Fragen noch gelegentlich ausdiskutiert worden sind.

Doch der Abend reicht, um unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Im Kern geht es um Verantwortung für die Not der Welt. "Wir können nicht ganz Afrika aufnehmen", sagt Köppel, muss sich von Bierdel jedoch eine Propaganda-Lüge vorwerfen lassen. Ein Großteil der Flüchtlinge aus Afrika komme in ganz anderen Ländern unter. Ob und wie Europa denn womöglich tatsächlich mehr Flüchtlinge unterbringen kann, geht im Tumult unter.

Marktwirtschaft trifft auf Humanismus

Deutlich wird an diesem Abend aber etwas anderes: Europa und sein Wohlstand funktionieren nach marktwirtschaftlichen Prinzipien, das aber auf Kosten von Dritten. Agrarprodukte aus Afrika haben keine Chance, den Markt in Europa und Amerika zu erobern, so lange heimische Betriebe mit Subventionen gefüttert werden. Und mehr noch: Die künstlich verbilligten Lebensmittel aus Europa überschwemmen am Ende die Märkte in Afrika und rauben den heimischen Produzenten die Lebensgrundlage. Insbesondere Bierdel geißelt das als himmelschreiende Ungerechtigkeit.

Plasberg zeigt noch ein weiteres anschauliches Beispiel für die Unfairness des Systems. Europa zahlt Mauretanien 67 Millionen, um vor der Küste des afrikanischen Landes im großen Stil fischen zu dürfen. Auch hier bleibt für die heimischen Fischer nur der kümmerliche Rest. "Die Verträge sind so furchtbar unfair", kritisiert Bierdel.

Köppel, der Buhmann

Zumal sich die Investition in Mauretanien mehr als auszahlt: "Sie wissen ja wohl, dass wir ein Vielfaches damit verdienen, das geht bis zu einer Milliarde, wenn wir das als Fischstäbchen serviert haben wollen", greift er gezielt den EU-Abgeordneten Brok an. In einem kurzen Moment senkt der den Kopf und hinterlässt einen beschämten Eindruck.

Es ist Köppel, der sich dann vollends unbeliebt macht, indem er auf das politisch Machbare hinweist. "Ja, das ist ganz eindeutig Protektionismus", räumt er ein. Aber politisch sei es unmöglich, das aufzubrechen. Die eigentliche Verantwortung für die fehlenden Lebensgrundlagen in Afrika weist er jedoch anderen zu: den korrupten Regierungen, die seit Jahrzehnten Entwicklungshilfe nahezu spurlos versickern lassen. "Die Missstände in Afrika sind hausgemacht", sagt Köppel, den Sinn von Entwicklungshilfe zweifelt er an, die Länder will er zurückschicken in die "Eigenverantwortung".

"Schön in Südafrika, was?"

Die Argumente Bierdels kritisiert er hingegen als selbstgerecht. "Das finde ich etwas wohlfeil", sagt er in seinem freundlichen Schweizer Akzent. Inhaltlich wird er aber umso härter: "Das ist derart weltfremd, derart nicht umsetzbar, dass ich den Vorwurf des Zynismus an Sie selbst zurückgeben muss", greift er Bierdel an.

Die Stimmung im Studio ist geladen, insbesondere die Blicke von Khadra Sufi wirken nahezu tödlich. Sie ist es auch, die mit einer abschätzigen Bemerkung Köppel vollends zur Weißglut treibt. Auslöser ist eine vorwurfsvolle Frage von Niedecken, der wissen will, ob Köppel und sein ökonomisches Reden von falschen Anreizen für Flüchtlinge denn überhaupt schon mal selbst in Afrika war. Bevor der Schweizer antworten kann, schickt Khadra Sufi einen bitterbösen Kommentar hinterher: "Schön Safari in Südafrika, was?"

Es wird persönlich

Auch wenn sie merkt, dass sie hier zu weit geht, ist der Karren in diesem Moment endgültig vor die Wand gefahren. In jeder Szene ist zu spüren, wie Köppel innerlich kocht: "Ich muss mich hier nicht als Südafrikatourist von Ihnen vorführen lassen." Bei anderer Gelegenheit zahlt er es Khadra Sufi heim, indem er die Tochter einer Diplomatenfamilie auf ihre Herkunft aus einer "sehr privilegierten" Schicht anspricht. Auch Bierdel trägt seinen Teil zur Eskalation bei, indem er zweideutig von "rechten Schmierfinken" spricht. Plasberg kann nur mit Müh und Not vermitteln.

Obwohl die Gefühle derart hochschlugen, kam zum Ende dank Plasberg noch einmal das zentrale Problem der Diskussion zum Vorschein. Er verwies noch einmal auf das schon fast wieder vergessene Flüchtlingshaus in Berlin-Hellersdorf und die Proteste davor. Brok ist es, der noch einmal auf die Kehrseite der Aufnahme von Flüchtlingen hinweist und darum bittet, das "Maß der Bereitschaft der Bevölkerung" nicht zu überschätzen. Plasberg formuliert das Dilemma zum Abschluss treffend unangenehm: "Kann es sein, dass wie nur so lange Mitleid mit Flüchtlingen haben, so lange sie nicht vor unserer Haustür sind"?", fragt er.

Der Papst setzt den Kontrapunkt

Wie sehr die Pole der Diskussion aufeinanderkrachen, zeigt ein Verweis auf die Reaktion des Papstes. Der nämlich handelt menschlich und ließ ganz konkret nachprüfen, ob in den Klöstern der Kirche noch Platz für afrikanische Flüchtlinge da ist. Barmherzigkeit ist in ihrem Wesen nicht rational, weil sie die langfristigen Folgen ausblendet. Entsprechend hart kritisierte Köppel den Papst. Der nämlich missachte den Rechtsstaat und die Gesetze, indem er Flüchtlingen falsche Anreize setze, nach Europa zu kommen.

Erkenntnis des Abends: Barmherzigkeit lässt sich einem Rechtsstaat kaum in einem Gesetzeswerk verankern. Aber sich damit abzufinden, wäre unmenschlich.

(pst)
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