"Die Herrens - Willis wilde Welt" Familienschau mit Fremdscham-Kolik

Düsseldorf · Wadenbefräsung, Totengedenken, Ballermann-Geplärr: "Die Herrens - Willis wilde Welt" zerrt den Zuschauer durch das äußerst bewegte Leben von Willi Herren. Nicht nur im Tattoo-Studio tut das ganz schön weh.

"Die Herrens - Willis wilde Welt"- Bilder aus der RTLII-Soap
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Bilder aus der RTLII-Soap "Die Herrens - Willis wilde Welt"

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Foto: RTL II

Ein schabrackiges Tattoo-Porträt der eigenen Tochter, dessen zahnloses Feixen sich über die ganze Prallwade spannt, von einem guten Tätowierer mit einem anderen Motiv übertünchen zu lassen - eine gute Idee! Willi Herren, ehemals "Lindenstraßen"-Mime, jetzt Ballermann-Gröhlifant, lässt sich in "Die Herrens - Willis wilde Welt" allerdings unter argem Wehgeschrei das Konterfei von Willi Millowitsch über den Tochterkopf nadeln, und den Kölner Dom und den Geißbock des Fußballvereins gleich mit dazu. Ein klassischer Fall von Verschlimmbesserung, und das ist, zumindest in dieser RTL2-Dokusoap, auch ein bisschen das Herrensche Lebensprinzip.

Tatsächlich, das muss man ihm lassen, hat sein Leben durchaus das Format, ein einstündiges Soapsendungsfass randvoll mit wunderlichen Twists, semi-rationalen Handlungsverläufen und tuschwürdigen Einzeilern auszuspachteln - hier werden mehr Erzählstränge miteinander verzwirbelt als in einer handelsüblichen Vorabendschmonzette. Etwa der Verdacht, dass Willi neben fünf regulären Geschwistern noch über einen Halbbruder namens Helmut verfügt - zumindest habe dessen Mutter ihm diese Nachricht auf dem Sterbebett verkündet, und durchaus sehe der Herrenclan-Aspirant "aus wie de Pappa", wie Willi bebend feststellt.

Abstruse Vaterschaftsposse

Willis Vater, ebenfalls Willi geheißen, wirkt mit seinen 79 Jahren wie ein vermümmelter Rentner, er trägt eine Jacke mit der Kalaueraufschrift "Lobet den Herren" und schaut drein, als sei sein einziges verbliebenes Laster der heimliche Verzehr von Weinbrandbohnen - tatsächlich aber habe er erst vor einem Jahr "einen kleinen Ausrutscher" gehabt, wie das bei Herrens heißt, nämlich außerehelich ein Kind gezeugt.

Da wirkt es so mittelglaubwürdig, dass der Greis beteuert, der 58-jährige Helmut könnte keineswegs sein Sohn sein: "Ich han immer anständig gearbeitet!". Es folgt eine abstruse Vaterschaftsposse. Schönstes Detail: Wie man bei einem kleinen Schwenk auf Herrens Handy erhaschen kann, hat er das eventuelle neue Familienmitglied allen Ernstes unter dem Namen "Helmut vielleicht Halbbruder" eingespeichert.

Bei der ersten Zusammenkunft mit Helmut will Herren keine Kamera dabei haben, verkündet er, denn das sei doch ein sehr privater Moment. Überrascht vermutet man bei ihm einen unerwarteten Kratzrest von Dezenz, bis er hinzufügt: "Aber ich lass die Jana filmen!". Also wird das Treffen im Wackelstil von Herrens Lebensgefährtin dokumentiert, und zuhause krümmt man sich auf dem Sofa in einer akuten Fremdscham-Kolik.

Das größte Unwohlsein beim Zuschauen: Bei Herrens ist alles eins, in den Berichten aus der "wilden Welt" alles gleich wichtig: Die mögliche Halbbruderschaft, die täppische Tattooübermalung, der erste Ballermann-Plärrauftritt des Willi-Sohnes (der in seinem Rap schlüssig "Wodka" auf "nicht im Kopf klar" reimt), der Besuch am Grab der Mutter - alle Erzählstränge werden zu einem einzigen, klopsigen Trashknödel verknäult.

Dabei birgt zumindest letztere Episode echte Tragik: Willi senior, in jungen Jahren ein strauchelnder Rotlicht-Entrepreneur, der laut Willi junior die ersten Tabledance-Bars nach Köln brachte, trieb seine Frau in die Prostitution, sie starb, als der kleine Willi acht Jahre alt war - an ihrem Todestag entschuldigt sich ihr Mann schluchzend dafür. Ein wirkliches Grab allerdings gibt es nicht mehr, an dem die Willis der Mutter gedenken könnten, das wurde vernachlässigt wieder eingeebnet, als Willi junior drogenbedingt kein Interesse zeigte.

Wahrlich genug Stoff für ein untrashiges Format, eine echte Lebenserzählung, doch "Willis wilde Welt" walzt schnell wieder über diese echte Tragik hinweg. Auf einer Kneipentreppe wird dann feierlich der Umschlag mit dem Vaterschaftstest geöffnet: Helmut ist raus, sagt das Labor. Und anders als das mitfühlende Sofaguckerherz ist er aufrichtig traurig darüber.

(arü)
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