Verfassungsgericht urteilt über ZDF-Staatsvertrag Wie Politik das Fernsehen steuert

Karlsruhe/Mainz · Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mindert ein bisschen den direkten Einfluss der politischen Parteien auf das Zweite Deutsche Fernsehen. Die strukturelle Staatsnähe wird der Sender jedoch nicht los.

Verfassungsgericht urteilt über ZDF-Staatsvertrag: Wie Politik das Fernsehen steuert
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Bis zum 30. Juni 2015 haben die politischen Parteien nun Zeit, ihren Einfluss auf das Zweite Deutsche Fernsehen neu zu regeln. Künftig dürfen "nur" 25 von 77 Mitgliedern des ZDF-Fernsehrats, der über das Programm wacht, direkte Vertreter von Staat und Politik sein. Im Verwaltungsrat, der den Intendanten überwacht, sollen nur noch vier von 14 Mitgliedern "staatsnah" sein. Mit einem Drittel Staatsvertreter in den Aufsichtsgremien wird das ZDF keineswegs staatsfern; lediglich die politische Leine wird etwas länger.

Bundesverfassungsgericht mindert Einfluss der Politk

Denn wie in den Aufsichtsgremien der ARD sind auch die übrigen Vertreter nicht selten mit der Politik und staatlichen Institutionen verbandelt. Das weiß natürlich auch das Bundesverfassungsgericht und entschied deshalb gestern, dass die politische Exekutive "auf die Auswahl der staatsfernen Mitglieder keinen bestimmenden Einfluss haben" dürfe. Und — doppelt hält besser — es seien "Inkompatibilitätsregelungen zu schaffen, die ihre Staatsferne in persönlicher Hinsicht gewährleisten". Dazu solle die persönliche Unabhängigkeit dadurch gesichert werden, "dass die Gremien-Mitglieder weisungsfrei gestellt werden und nur aus wichtigem Grund abberufen werden dürfen".

Nichts davon wird den politischen Einfluss auf das ZDF, sein Programm und Personalentscheidungen nachhaltig wirklich mindern. Es zwingt die Politik künftig nur zu geschickterem Vorgehen, als einen missliebigen Chefredakteur wie 2009 Nikolaus Brender mit CDU-Mehrheit einfach nicht wiederzuwählen, was die Klage der Länder Rheinland-Pfalz und Hamburg erst auslöste. Dass ZDF-Intendant Thomas Bellut gestern erklärte, die Entscheidung stärke "die Unabhängigkeit des ZDF", ist dennoch verständlich. Immerhin wird nun auch beim ZDF zur Regel, was bei vielen ARD-Anstalten längst Praxis ist: Wo die Bildung einer offenkundigen politischen Phalanx erschwert wird, kippt Kontrolle nicht ganz so schnell in Einflussnahme um.

Staatsnähe tief in ZDF-Struktur verankert

Die Staatsnähe als Prinzip steckt allerdings so tief in der ZDF-Struktur, dass Staatsferne nicht durch die Entfernung einiger offenkundiger Parteibuchträger aus den Aufsichtsgremien herzustellen ist. Dass 2012 der damalige CSU-Sprecher Michael Strepp nichts dabei fand, dem ZDF per Anruf in der Redaktion vorzuschlagen, über einen SPD-Parteitag doch einfach mal nicht zu berichten (was ihn den Job kostete), machte sichtbar, welche Vorstellungen in Teilen der Politik über die "Unabhängigkeit" des ZDF herrschten und herrschen.

1961 als sogenanntes "Adenauer-Fernsehen" geplant (und gleich wieder vom Bundesverfassungsgericht gestoppt), wurde das ZDF von seinem Start 1963 an politisch oft enger begleitet als einzelne Anstalten der ARD. Bis heute zeugen die "Richtlinien für die Sendungen und Telemedienangebote" des ZDF weniger von einem schlüssigen Sender-Profil als den Bedürfnissen der "staatsnahen" Aufpasser und Akteure. Der Bauchladen der Anforderungen ist bunt und vielfältig. ZDF-Sendungen sollen unter anderem "das Gewissen schärfen" und vorwiegend für die "Familiengemeinschaft" gemacht sein. Sie dürfen "Ehe und Familie" als Institution nicht infrage stellen, Ehe- und Familienprobleme nicht im Übermaß und nicht als Normalfall darstellen. In den Angeboten sollen "gemeinschaftlicher Wille zur Demokratie und übereinstimmende Überzeugung ebenso Ausdruck finden wie unterschiedliche Meinungen. Die Angebote sollen das Verstehen zwischen den verschiedenen politischen, sozialen und landsmannschaftlichen Gruppierungen unseres Volkes fördern." Und so weiter.

Gesamtprogramm des Senders muss ausgewogen sein

Für sich selbst legten die politischen Akteure in diesen "Richtlinien" fest, dass die Gesamtprogramme des Senders ausgewogen sein müssen: "Sendungen, in denen bei strittigen Fragen ein Standpunkt allein oder überwiegend zur Geltung kommt, bedürfen eines entsprechenden Ausgleichs. Wenn in Einzelsendungen zu strittigen Fragen eine bestimmte Meinung vertreten wird, so ist in ihnen möglichst auf die ergänzende(n) Sendung(en) hinzuweisen." Und: "Es ist darauf zu achten, dass gegensätzliche Standpunkte möglichst gleichwertig behandelt werden." Das bedeutet nichts anderes, als dass die politischen Gegner sich beim ZDF gegenseitig das Recht auf Sende-Minuten herausnehmen.

Es mag sein, dass die ZDF-Richtlinen durchaus einem Mehrheitswillen in der Bevölkerung Rechnung tragen. Aber sie erinnern eher an die Regeln, die eine Glaubens- und Wertegemeinschaft sich gibt, als an nüchterne Anforderungen an die Professionalität eines Fernsehsenders. Da wundert es auch wenig, dass der ZDF-Fernsehratsvorsitzende Ruprecht Polenz (CDU) sich zufrieden mit dem "klaren Bekenntnis des Verfassungsgerichts zur Binnenkontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" zeigt, das sich auf die Staatsnähe der Kontrolleure beschränkt — und die Staatsnähe der von ihnen geschaffenen Sender-Strukturen nicht thematisiert. Und dabei soll es nach dem Willen von Polenz auch bleiben. Mit dem Urteil, so der Ex-Bundestagsabgeordnete und frühere CDU-Generalsekretär, "sollten die übergriffigen Versuche der Landesmedienanstalten, sich als Generalkontrolleure des Fernsehens in Deutschland zu positionieren, endgültig vom Tisch sein".

Eine Kontrolle nach britischem Vorbild?

Bislang sind die Landesmedienanstalten lediglich für die Kontrolle des privaten Fernsehens und Rundfunks zuständig. Und tatsächlich wäre denkbar, sie umzubauen und die Programmaufsicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht Einflussgruppen, sondern Profis zu überlassen. Wie die BBC als Sender, so ist auch ihre Aufsicht weit vorbildlicher und professioneller als das Modell von ARD und ZDF. Über den gesamten britischen Rundfunk wacht unabhängig das "Office of Communications", das sowohl für die Finanzen als auch für die Inhalte zuständig ist.

(RP)
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