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"Ich bin ein Star — Holt mich hier raus!" Die Leiden des jungen Wendlers

Düsseldorf · Kleine Schwächen, menschliche Dramen, viel Ekel und manchmal sogar so etwas wie Bewunderung für die Teilnehmer: Im Dschungelcamp 2014 stimmt die Mischung. Die Staffel verspricht noch großes. Ein Essay.

Die besten Bilder von Michael Wendler
11 Bilder

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Das ist die Geschichte von Michael Wendler. Eigentlich war es die Geschichte von Michael Wendler. Weil der Wendler, wie ihn alle im Dschungel-Camp genannt haben, als sei das schon eine Marke, ja draußen war. Nach bloß vier Tagen. Weil er nicht mehr konnte, wie er sagte. Das wenige Essen, wie er klagte. Und die schwindenden Kräfte, wie der 41-Jährige glaubte.

Da hat der Wendler vor der Wohnzimmer-Rekordkulisse von 7,95 Millionen Schaulustigen einfach seine Arme ausgebreitet und gerufen: "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" Und dann hat der Wendler, der Schlagersänger ist, für seine Fans noch ein paar (gefälschte?) Tränchen vergossen und damit die Leiden des jungen Wendler bezeugt. Weichei Wendler tauschte Dschungel mit Dinslaken — seiner Geburtsstadt. Sein Ausstieg war zumindest ein Geschenk für Freunde der Alliteration.

Doch seit gestern Abend will der Wendler wieder rein ins Camp. Vielleicht war er im Hotel bald zu Leibeskräften gekommen, jedenfalls soll ihn nach dem Dinner die Reue überkommen haben. Über die Motive darf man streiten, und schon die Schlangen im Camp (also nicht die tierischen) hatten so ihre Vermutungen: Der Wendler wolle jetzt bloß die ganze Pressemeute für sich haben; Wendler sei ein Geschäftsmann, und alles sei wahrscheinlich geplant gewesen.

Für diese Sicht spricht zugegebenermaßen einiges. Am Freitag erscheint seine neue CD — "The Very Best Of"; und schon am Wochenende, also noch während der regulären Dschungelzeit, soll er Konzerttermine gehabt haben. Das habe jedenfalls auf der Homepage gestanden, die jetzt flugs überarbeitet und bereinigt wurde. Sogar die Kürzung seiner Camp-Gage von 125 000 Euro soll er in Kauf genommen haben. Hinzu kommt, dass Wendler, was der Wendler vielleicht nicht wusste, bis 4. Februar in Australien bleiben muss. Das steht so im Vertrag. Also hat sich der Wendler gedacht, dass der Wendler, wenn ganz Deutschland über den Wendler fies redet, zurückgeht ins Camp.

So viel ist daher sicher: Dieses Camp wird das erfolgreichste aller Zeiten werden. Schon zum Start der achten Staffel sahen über 7,8 Millionen Zuschauer zu; das ist ein Publikumsanteil von über 27,5 Prozent (der Stubbe-"Tatort" erreichte 26,3 Prozent). Allein diese Zahl sollte uns davor bewahren, an diesem Unterhaltungsformat vorschnell Betroffenheitsgesten des Kulturschocks einzuüben. Denn das mit reichlich Werbung angefütterte Fernsehstündchen dient nicht als Beleg dafür, dass wir schnurstracks zum Untergang des Abendlandes unterwegs sind. Vielmehr ist das Camp mit seinem Publikum — wie es Studien behaupten — längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Komischerweise ist es nicht einmal eine richtige Show, sondern eher eine Anti-Show. Jedes Element der Inszenierung wird darin ohne Gnade demaskiert. Wir wissen alles über die aufwendig errichtete Kunstwelt inmitten einer scheinbar unberührten australischen Natur; wir kennen die Verhaltensregeln und Produktionsgesetze der Sendung und werden im Vorfeld bestens informiert über die Motive der Teilnehmer. Das sind meistens finanzielle Nöte der Camper nach diversen Lebensschicksalen. Und die Camper machen das auch munter zum Thema, manchmal auch zum Dauerthema wie damals beim Dschungelaufenthalt vom einstigen Nationaltorhüter Eike Immel.

Nimmt das Camp dadurch Schaden? I wo. Das gehört dazu in dieser Welt, in der die Kulisse als Kulisse sichtbar und das Making-of Teil der Show wird. Die größte Desillusionierung liefert darum auch die Camp-Leitung selbst — das Moderatoren-Team Sonja Zietlow (45) und Daniel Hartwich (35). Den Geist, den die Camper in ihrer, sagen wir mal: Konfliktkommunikation weitgehend vermissen lassen, wird jenseits der Hängebrücke mit reichlich Spott und Zynismus nachgereicht.

Zietlow und Hartwich verkörpern das Prinzip des nörgelnden und kommentierenden Betrachters, der im Chor von antiken Tragödien einen Vorläufer und mit den zwei Opis auf dem Balkon der Muppet-Show zwei puppenhafte Nachfolger hat. Im Grunde aber sind das auch immer wir, die Zuschauer, die wochentags mit den Resten unserer verbliebenen Aufmerksamkeitskraft auf der Couch rumlungern und die ihre Empörungspflicht an Zietlow und Co. prima delegieren können.

Das Dschungel-Camp ist derzeit vielleicht die ehrlichste Show im deutschen Fernsehen. Alles ist darin Spiel: die Rolle der Zicke, die diesmal von Larissa Marolt überzeugend gegeben wird; Dr. Bob als Heilsbringer, wie auch die Begegnung mit traumatischen Urängsten in sogenannten Prüfungen: Spinnen kommen und gehen, Kakerlaken gibt's tausendfach, und zwischendurch werden zum Verzehr Genitalien von Tieren gereicht, die wir schon für ausgestorben hielten.

Vielleicht liegt die Faszination des Camps auch an der Rückkehr einer uralten Botschaft. Wendlers Abgang aus dem Dschungel war die profane Vertreibung aus dem Paradies. Aber alles daran ist — als Signatur der Moderne — eine Fälschung: Der Dschungel ist nicht mehr das Paradies. Und der sündige Ausruf "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" ist gleich doppelt falsch: Niemand, der hier mitmacht, ist wirklich ein Star. Und keiner kommt irgendwo wirklich raus. Er wechselt doch immer bloß von einem Camp ins andere. Das aber hat der Wendler noch nicht begriffen.

(RP)
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