#verafake und "Schwiegertochter gesucht" Warum Millionen Deutsche Trash-TV lieben

Düsseldorf · Trash-TV-Formate wie "Das Dschungelcamp" oder "Schwiegertochter gesucht" finden ein großes Publikum. Doch warum lieben die Leute Sendungen, in denen sich andere lächerlich machen? Wir haben mit einem Experten gesprochen.

#verafake – Reaktionen bei Twitter zu Fake-Kandidaten bei RTL
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Foto: Screenshot/ ZDF Neo

Gerd Hallenberger ist promovierter Ethnologe und beschäftigt sich mit Fernsehunterhaltung und Populärkultur. Seit 1997 ist er auch habilitiert. Seit 2007 arbeitet er als freiberuflicher Medienwissenschaftler.

Herr Hallenberger, wie bewerten Sie die #verfake-Aktion von Herrn Böhmermann?

Hallenberger: Ich finde das aller Ehren wert, wenn Herr Böhmermann versucht herauszukriegen, wer sich wo und wie nicht an die Spielregeln hält. Auch wenn "Schwiegertochter gesucht" gesellschaftlich nicht wichtig ist.

Sie beschäftigen sich mit Fernsehunterhaltung. Was bewegt Menschen dazu, sich Trash-TV-Formate wie "Schwiegertochter gesucht" anzusehen?

Hallenberger: Da sind zunächst die Klassiker: Fremdschämen und Schadenfreude. Und dann gibt es noch ein Argument, was für fast alle Reality-TV-Formate gilt: nämlich die Selbstvergewisserung. Die Zuschauer treibt die Erkenntnis, dass es anderen noch schlechter geht als ihnen. Und das unabhängig von der eigenen gesellschaftlichen Schicht. Solche TV-Formate werden ja gerne auch Unterschichten-Fernsehen genannt. Studien zeigen aber, dass diese Sendungen quer durch die Bevölkerung geguckt werden. Es gibt eine relativ große Gruppe einer verängstigten Mittelschicht und auch in der oberen Mittelschicht. Solche Sendungen erzeugen gefühlte Fallhöhe.

Sie sprachen von Schadenfreude. Warum finden Menschen so etwas lustig?

Hallenberger: Es ist relativ einfach, etwas doof oder lustig zu inszenieren. Die Motive sind sehr komplex und unterschiedlich. Es gibt Menschen, denen das etwas bringt. Für sie ist es eine gute Nachricht, dass es Menschen gibt, denen es noch schlechter geht. Ein wichtiger Punkt, den man dabei nicht vergessen darf, ist, dass es Unterhaltung durch Schock und Erschauern schon seit vielen Jahrhunderten gibt. Damals waren es Hinrichtungen.

… und Trash-TV ist eine Form der modernen Hinrichtung, weil die Teilnehmer sozial herabgewürdigt werden?

Hallenberger: Eine moderne, nicht blutige. Das kann für den einzelnen Zuschauer die moralische Konsequenz haben: Ich muss mich zusammenreißen, so will ich nicht enden.

Warum machen Menschen überhaupt bei solchen Sendungen mit?

Hallenberger: Viele wollen einfach einmal ins Fernsehen, das kennen wir aus Studien zu Casting-Shows. Außerdem gibt es Fälle, in denen der Grund eine Art Mutprobe war. Jemand möchte beweisen, dass er sich traut, dort mitzumachen. Ein falsches Selbstbild, das vom Umfeld vermittelt wird, kann auch ein Grund sein. Menschen mit Problemen lassen sich besonders gut inszenieren.

Finden Sie, dass Fernsehsender wie RTL eine Pflicht haben, solche Menschen vor sich selbst zu schützen?

Hallenberger: Im Prinzip ja. Wie wir gesehen haben, gibt es nun auch Konsequenzen seitens der Produktionsfirma Warner und des Senders.

Noch einmal zurück zum Fremdschämen. Scham ist doch kein angenehmes Gefühl.

Hallenberger: Mit solchen Sendungen stellen einige Zuschauer ihre eigene Empathie auf die Probe. Sie testen, wo das Mitgefühl umschlägt in eine Schuldzuweisung. "Derjenige ist doch selbst schuld." Diese Formate verlaufen häufig entlang dieser Grenze. Dabei ist es für die Zuschauer im Übrigen egal, ob die Geschichte stimmt, sie muss nur glaubhaft sein. Sender wie RTL weisen in Formaten wie "Schwiegertochter gesucht" oder "Bauer sucht Frau" Menschen Geschichten zu, die sich nicht ausgesucht haben. Hauptsache, die Geschichte kommt gut an.

Heißt das, Realität funktioniert da am besten, wo man sie überspitzt und ausschmückt?

Hallenberger: Es gibt den Spruch "Das Leben schreibt die schönsten Geschichte, aber Hollywood kann sie am besten erzählen". Reality heißt ja nicht Realität, sondern ist eine Inszenierung von Bruchstücken. Das nennt man mediale Verdichtung.

Wie wäre es mit Voyeurismus?

Hallenberger: Im Grunde genommen ist das ein anderer Begriff für das, worüber wir sprechen. Er ist nur moralisch anders kodiert. Ein Voyeur ist jemand, der etwas sieht, was nicht für ihn bestimmt ist. In diesem Sinne sind die Fernsehzuschauer natürlich keine Voyeure. Denn sie konsumieren etwas, was für sie bestimmt ist. Sie geraten dadurch in ein moralisches Dilemma, weil sie gegen ihre eigene Moralität verstoßen und sich für etwas interessieren, was sie eigentlich nicht interessieren sollte.

Heißt das, man beschäftigt sich eigentlich mit sich selbst, wenn man diese Sendungen guckt?

Hallenberger: Ja. Der Mensch beschäftigt sich mit zwei Grundfragen: Wer bin ich und wer sind die anderen? Solche Trash-TV-Formate dienen der eigenen Vorortung.

(heif)
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