TV-Talk mit Anne Will zu Dürre und Klima „Wir sitzen im falschen Film“

Düsseldorf · Die Sommerpause ist für Anne Will vorbei. Die Folgen des heißen und trockenen Sommers sind es jedoch nicht. Im ARD-Talk fragt die Moderatorin: Was können Bund und Länder für den Klimaschutz tun - und was jeder Einzelne?

 Anne Will diskutiert mit ihren Gästen nach der Sommerpause über den Klimawandel.

Anne Will diskutiert mit ihren Gästen nach der Sommerpause über den Klimawandel.

Foto: rpo/ARD Screenshot

Darum ging’s Die Talkgäste betrachten die Folgen extremer Trockenheit in Deutschland - Flächenbrände, sinkende Pegelstände, massive Ernteausfälle - und sollen Auswege diskutieren. Forscher warnen bereits vor einer "Heißzeit" auf der Erde - selbst wenn Pariser Klimaziele eingehalten werden. Anne Will möchte von drei Politikern, einem Bauern und einem Klimaforscher wissen, was Bund und Länder tun müssen, um den Klimawandel zu stoppen. Sie will auch besprechen, welche Verantwortung die Verbraucher durch Fleischkonsum, Vielfliegerei und Autoabgase tragen.

Darum ging’s wirklich Die Runde diskutiert, wie die Gesetzgeber dem Klimaschutz Druck verleihen können und welche Rolle die Landwirtschaft spielt. Es geht aber auch um die Rolle jedes Einzelnen.

Die Gäste

  • Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft (CDU)
  • Annalena Baerbock, Parteivorsitzende Bündnis 90/Die Grünen
  • Andreas Pinkwart, Wirtschaftminister in NRW (FDP)
  • Hans-Joachim Schellnhuber, Klimaforscher
  • Werner Schwarz, Landwirt und Vizepräsident des Bauernverbandes

Der Frontverlauf

Klimaforscher Schellnhuber lässt gleich vorweg keine Begriffsdeuteleien zu. Der Rekordsommer sei nicht Wetter, sondern Klima. Er habe schon im April gesehen, wie sich die Muster in der Atmosphäre veränderten. Nach einem völlig verregneten Sommer 2017 habe dieses Jahr Hitze und Dürrerekorde gebrochen. „Die Schwankungen werden immer größer”, erklärt der Wissenschaftler in der Anne-Will-Sendung am Sonntagabend. Mit derart massiven Pendelausschlägen sei auch künftig zu rechnen.

„Der Klimawandel ist mitten in Deutschland angekommen“, bilanziert die Grüne Annalena Baerbock. „Was nicht angekommen ist, ist eine verantwortungsvolle Klimapolitik.“ Sie fordert, die Politiker müssten endlich über Kohleausstieg, verantwortungsvolle Landwirtschaft und eine Verkehrswende reden.

Andreas Pinkwart will keine Verbote verordnen. Der FDP-Politiker möchte lieber über Anreize reden. Im Heizungsbereich etwa könnten Millionen Tonnen von CO2 eingespart werden. Da könne die Politik ansetzen, ohne den Deutschen gleich die Freude am Essen oder Reisen zu nehmen.

Großbauer Schwarz zögert, die Erfahrungen seien noch zu kurzfristig, um von Klimawandel sprechen zu können. Er verteidigt die Forderung des Bauernverbandes nach Hilfsgeldern in Höhe von einer Milliarde Euro für Landwirte: Ein besonderes Jahr erfordere besondere Maßnahmen. Der Bauernverband lege aber seine Klimastrategie gerade neu auf: „Wir sind da dran.”

Die Bundeslandwirtschaftsministerin hält sich mit Versprechen zu Hilfsgeldern zurück. Je nach Region gebe es große Unterschiede, während Gegenden wie die Eifel gut mit dem Sommer klar gekommen seien, sähen Maisfelder in Sachsen katastrophal aus. Klöckner will zunächst Zahlen und Fakten abwarten, ehe Steuergelder verteilt würden. Am Mittwoch werde das Kabinett beraten und eine rationale Entscheidung treffen. Überdies werde ihr Ministerium im Herbst eine Ackerbaustrategie vorlegen.

Baerbock erinnert daran, auch die Landwirtschaft müsse als Mitverursacher - sieben Prozent des CO2 Ausstoßes gehen auf ihr Konto - Konsequenzen ziehen. Hilfsgelder dürften „nicht mit der Gießkanne” verteilt werden. In den anstehenden Verhandlungen um Agrarsubventionen müsse mit dem Prinzip gebrochen werden, große Betriebe am meisten zu fördern. Oft fehle Unterstützung für Bauern, die ökologischer arbeiten wollten.

Julia Klöckner verteidigt die Landwirtschaft, in der sich in den vergangenen Jahrzehnten bereits vieles geändert habe. Als Beispiel nennt sie die Düngeverordnung, die festlege, wie viel Gülle wie lange auf den Feldern bleiben dürfe. „Nachhaltigkeit ist kein Sprint sondern ein Langstreckenlauf”, findet die Ministerin. Ob ein Betrieb ökologisch oder konventionell arbeiten wolle, könne man nicht verordnen. Auch könne sich nicht jeder Verbraucher ökologisch erzeugte Produkte leisten.

Anne Will möchte aber auch wissen, was jeder Bürger beitragen könne. 71 Prozent der Deutschen bereite der Klimawandel laut einer Umfrage offenbar große Sorge - warum verändere der Einzelne sein Verhalten nicht? Warum kauften wir mehr SUV-Fahrzeuge denn je, flögen mehr denn je und kauften nicht genug alternativ betriebene Fahrzeuge?

„Wir wissen, wir sitzen im falschen Film”, versucht Schellnhuber zu erklären, aber es gebe nun mal „die menschliche Trägheit, die uns hindert, das Kino zu verlassen.” Seiner Ansicht nach muss die Politik den Bürgern etwas zumuten. Zwar hätten Menschen einerseits das Gefühl, wenn sie selbst alleine etwas änderten, mache das keinen großen Unterschied. Aber wenn sich Parteien, Verbände, Kirchen, Medien und Unternehmen darauf einigen könnten, gemeinsam andere Wege, die in einei positive Richtung führten anzubieten, würde sich der Einzelne bewegen. Jeder sei gern „Teil einer guten Geschichte“.

Klöckner mahnt die Verbraucher zu mehr Veränderungsbereitschaft und nennt Preisdumping bei Fleischpreisen in der Grillsaison „unanständig”. Jeder Deutsche werfe zudem im Schnitt 80 Kilogramm Lebensmittel pro Kopf und Jahr weg und vergeude so kostbare Ressourcen.

Im Publikum sitzt Roda Verheyen, eine Anwältin, die neun Familien aus aller Welt vertritt, die derzeit die EU verklagen, sie nicht ausreichend vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Für Verheyen und eine Familie aus Langeoog, die sie vertritt ist klar, dass Klimaschutz ein Menschenrecht ist. Daraus leitet sie ab: „Wir sollten nicht mehr darüber reden, was man gerne hätte, sondern darüber, was im Hinblick auf die Rechte anderer vertretbar ist.” Volkswirtschaftlich könne man sich die derzeitige Haltung nicht mehr leisten, nicht nur ihre Klägerinnen und Kläger auf der flachen Nordseeinsel leideten bereits unter dem fehlenden Klimaschutz. „Wenn wir so weitermachen wie bisher wird es die Insel Langeoog nicht mehr geben.”

Auch Schellnhuber hält Eile für geboten. Der Physiker beschreibt die Situation mit dem makaberen Witz von einem Mann, der vom Hochhaus springt und auf Höhe des zweiten Stocks in ein Fenster ruft, dass es bis jetzt so schlimm noch gar nicht sei. In dieser Situation befinde sich die Menschheit derzeit.

(juju)
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