TV-Nachlese "Anne Will" "Nicht alle Unternehmer sind so freundlich wie Sie"

Düsseldorf · Zum 200. Geburtstag von Karl Marx diskutierte Anne Will mit ihren Gästen über Kapitalismus, Amazon und die Deutsche Post. Während Vizekanzler Scholz vielen Postboten Hoffnung machte, widersprach Kardinal Marx dem Bild vom Unternehmer, der nur Gutes für seine Mitarbeiter will.

Darum ging's Karl Marx wäre in diesen Tagen 200 Jahre alt geworden. Deshalb wurde am Wochenende deutschlandweit an den Philosophen und Ökonomen erinnert, auch bei Anne Will. Die Moderatorin hatte sich dafür keine Historiker oder Wirtschaftsforscher eingeladen, sondern zwei Politiker, einen Unternehmer und einen Kirchenvertreter. Von ihnen wünschte sich die Journalistin eine Antwort auf die Frage: "Wie sozial ist der Kapitalismus heute?"

Darum ging's wirklich Anne Wills Gäste sprachen kaum über Karl Marx und seine Ideen. Stattdessen diskutierten sie über Hartz IV, Amazon und die Deutsche Post. Dadurch wurde es keine langweilige Geschichtsstunde. Vizekanzler und SPD-Politiker Olaf Scholz versuchte, seine Partei als Arbeitnehmervertreter in der Bundesregierung darzustellen. Allerdings kündigte er vieles nur an - ob es auch so kommt, muss sich erst zeigen.

Die Gäste

  • Olaf Scholz, SPD, Bundesminister für Finanzen und Vizekanzler
  • Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
  • Sahra Wagenknecht, Franktionsvorsitzende der Linken im Bundestag
  • Georg Kofler, Unternehmer

Der Frontverlauf Die Deutsche Post verhinderte, dass die Sendung von Anne Will eine theoretische Debatte über den Kapitalismus wurde: Das Unternehmen hatte am Sonntag eine umstrittene Einstellungspraxis bestätigt, wonach es auch von der Anzahl der Krankheitstage abhängen kann, ob der Arbeitsvertrag eines Mitarbeiters entfristet wird. Damit hatte Anne Will ein aktuelles Beispiel für ihre Sendung - und sie hatte den passenden Gesprächspartner dazu eingeladen: Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz. Schließlich ist der Bund über die KfW Bankengruppe immer noch mit mehr als 20 Prozent an dem Unternehmen beteiligt.

Also fragte die Journalistin den SPD-Politiker, was er denn von der Einstellungspraxis der Deutschen Post halte. Er finde das nicht in Ordnung, sagte Scholz. Grundsätzlich sollten weniger Menschen einen befristeten und mehr einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen. Bei der Deutschen Post wolle sich der Bund dafür einsetzen. Zwar könne er die Einstellungspraxis nicht allein ändern. "Aber wir können den Einfluss nutzen, den wir haben." Vertreter des Bundes sitzen im Aufsichtsrat der Deutschen Post und können darüber mit dem Management und den anderen Anteilseignern über das Thema sprechen - mit welchem Erfolg, wird sich zeigen.

Streit um längeres Arbeitslosengeld

Die Oppositionspolitikerin Sahra Wagenknecht von der Linken reagierte skeptisch auf alles, was Scholz sagte. Sie warf dem SPD-Politiker zum Beispiel vor, dass seine Partei in den vergangenen Jahren in der Regierung gewesen sei und zu wenig gegen die Ungleichheit in Deutschland allgemein und den Missbrauch von Leiharbeit oder befristeten Arbeitsverträgen getan habe. Abermals kritisierte sie die Agenda 2010 und machte die Hartz-Gesetze dafür verantwortlich, dass Menschen im Alter von Armut bedroht seien, wenn sie ihren Job verlören - selbst wenn sie jahrelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hätten.

Scholz gab ihr grundsätzlich recht und kündigte an, dass "wir das ändern wollen". Hartz-IV-Empfänger sollten von ihren Ersparnissen künftig mehr behalten können und auch ihr Haus nicht mehr verkaufen müssen. Aber das sei zu wenig, kritisierte Wagenknecht. "Sie könnten den älteren Arbeitslosen das Leben einfacher machen, wenn sie das Arbeitslosengeld I länger zahlen." Sonst trage der Staat eine Mitschuld an der Altersarmut von vielen Menschen. Nach heutigem Recht können Arbeitslose über 58 Jahre maximal 24 Monate anstatt nur 12 Monate Arbeitslosengeld I bekommen.

Romantisches Bild vom Unternehmer

Um Karl Marx ging es aber auch in der Sendung. Unternehmer Georg Kofler bezeichnete dessen Ideen als den "größten Flop der Wirtschaftsgeschichte" und machte ihn für alles verantwortlich, was im Kommunismus und Sozialismus schlecht gelaufen ist. Wagenknecht widersprach sofort. Marx dürfe nicht für die Verbrechen verurteilt werden, die in seinem Namen verübt worden seien. Sie drehte den Spieß um. Der Kapitalismus erfülle sein Versprechen nicht mehr, wonach jedem der soziale und wirtschaftliche Aufstieg gelingen könne.

Nun widersprach Kofler. Er zeichnete ein romantisches Bild von der Wirtschaft und dem Unternehmer, der nur Gutes für seine Mitarbeiter wolle - schließlich sei er auf sie angewiesen. "Ohne Mitarbeiter bin ich nichts." Der 61-Jährige plädierte dafür, dass sich der Staat so weit wie möglich aus der Wirtschaft heraushalte und die Firmen nicht behindere - dann profitierten alle davon. Dass einige Menschen erfolgreicher sind als andere, erklärte Kofler wie folgt: "Es gibt Menschen, die haben Träume, die stehen früher auf und sind fleißiger als andere."

Mit dieser Ansicht war Kofler in der Runde allerdings allein. "Nicht alle Unternehmer sind so freundlich wie Sie", entgegnete Kardinal Marx. Die Gesellschaft müsse sich dafür einsetzen, dass auch diejenigen Wohlstand erreichen könnten, "die nicht ganz so fit und ganz so schnell sind". Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz forderte deshalb: "Wir brauchen eine Renaissance einer wirklichen sozialen Marktwirtschaft, die den Kapitalismus einhegt." Ähnlich äußerte sich Scholz und wendete sich an Wagenknecht. Sie möge am Ende der Legislaturperiode in drei Jahren beurteilen, ob die SPD die Ungleichheit in Deutschland verringert habe. Möglicherweise müsse sie dann Abbitte leisten.

(wer)
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