Markus Söder bei „Maybrit Illner“ „Wir leben nicht in China, wir können nicht nur befehlen“

Düsseldorf · „Für die Tonne“ ist der Corona-Öffnungsplan nach Ansicht von Spiegel-Journalistin Melanie Amann. Drei Politiker sehen das bei „Maybrit Illner“ im ZDF anders. Sie loben Perspektiven und setzen auf das Verantwortungsbewusstsein der Bürger.

 Maybrit Illner diskutiert mit ihren Gästen die Beschlüsse von Bund und Ländern.

Maybrit Illner diskutiert mit ihren Gästen die Beschlüsse von Bund und Ländern.

Foto: Screenshot ZDF

Darum ging es

„Lockdown bis Ostern - weil Bund und Länder versagen?“, fragte Maybrit Illner im Polit-Talk am Donnerstagabend im ZDF provokativ. Über Ostern redete allerdings niemand, dafür debattierten vier Politiker, ein Künstler und eine Journalistin darüber, ob nun die schrittweise Öffnung, die auf der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen wurde, verantwortungsvoll oder zu riskant ist.

Die Gäste

Der Talkverlauf

Verärgert, froh, enttäuscht und besorgt - die Reaktionen auf die geplanten Lockerungen sind bei „Maybrit Illner“ sehr unterschiedlich. Froh ist gleich zu Beginn Manuela Schwesig, zwar habe der Shutdown etwas gebracht, „aber es reicht noch nicht“. Sie lobt, dass die Regierung am Vortag immerhin eine „Perspektive eröffnet“ habe, denn die brauche die Bevölkerung dringend.

Robert Habeck hält die Entscheidung, bei einer Inzidenz von 50 zu öffnen, für bedenklich: „Begründet ist das politisch, nicht virologisch“, glaubt der Grüne und sagt: „Die Politik ist getrieben.“ Er glaubt, „dass sich das bitter rächen wird, jetzt zu sagen, wir machen das Gegenteil von dem, was wir vorher gesagt haben.“

Schwesig sieht das anders, inzwischen könne man die Inzidenzen mehr im Zusammenhang mit anderen Werten sehen und anders bewerten, verteidigt sie die Entscheidung, einige Bereiche des öffentlichen Lebens früher zu öffnen.

Den Vorwurf, die Regierung höre nicht mehr auf die Virologen, sondern gebe dem Druck der Bevölkerung nach, will auch Söder nicht auf sich sitzen lassen: „Wir haben in den letzten Wochen große Erfolge erzielt, von sehr schlechten Zahlen zu guten Zahlen“, sagt der CSU-Politiker. Die Basis für Entscheidungen bleibe durchaus die Virologie, zugleich brauche man aber einen „breitestmöglichen Konsens in der Gesellschaft.“ Die Regierung orientiere sich durchaus an den Inzidenzen. „Wir müssen aber auch schauen, dass alle mitmachen. Wir leben nicht in China, wir können nicht nur verordnen und befehlen.“ Neben der Beachtung der Zahlen, sei auch ein „atmender Prozess“ wichtig.

Spiegel-Journalistin Amann bewertet die Situation angesichts der britischen Mutation als „gefährlichen Zustand“ und stimmt Habeck zu, dass nun eher aus politischen Gründen geöffnet werde und weniger aus virologischen. Gut sei zwar, dass jetzt ein Plan gemacht worden sei, doch sie kritisiert: „Das hätte man schon mal früher machen können.“ Es sei absehbar, dass sich die Zahlen nicht rasch verbesserten: „Der Plan ist für die Tonne.“ Amanns Ansicht nach läuft die Situation eher darauf hinaus, dass die Notbremse gezogen werde.

Hendrick Streeck sagt, auch 2022 werde man mit dem Virus leben müssen und erinnert  daran, er habe schon im Sommer gesagt, dass eine Pandemie nun mal ein Marathon sei. Auf dem müsse man die Menschen mitnehmen und ihnen dafür „Mittel zum Mitarbeiten an die Hand geben.“ Er hält deshalb auch nichts davon, branchenspezifisch zu öffnen. „Diejenigen, die die besten Hygienekonzepte haben, sollten zuerst öffnen“, findet der Virologe. „Da mag ein Orchester oder ein Pianist bessere Hygieneregeln haben als ein Baumarkt um die Ecke.“

Auch Christian Lindner erneuert seine Kritik am Stufenplan, denn dem fehle die Differenziertheit. Außerdem ist ihm „die Diskussion zu wenig kreativ - Pandemie bekämpfen geht durch Stillstand und Schließen, aber genauso durch innovative Hygienekonzepte, Masken und anderes.“ Der FDP-Vorsitzende wünscht sich, „methodisch den Blick zu weiten“. Und wo es nicht gelingt, „muss man eben die Notbremse ziehen“.

Habeck bleibt der Warner in der Runde. Solange Testkapazitäten und Impfgeschwindigkeit zu wünschen übrig ließen, hält er Öffnungen für unvorsichtig. Trotz ansteigender Infektionszahlen und britischer Mutation ohne Testung aufzumachen, findet er riskant. „Das kann gut gehen, aber aller Wahrscheinlichkeit nach breitet sich das Virus dadurch schneller aus.“ Er verstehe die Enttäuschung in der Bevölkerung über die fehlenden Tests: „Da hat die Regierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht, wälzt aber dann das Risiko quasi auf die Bevölkerung ab“, sagt Habeck.

Aus Berlin ist Dieter Hallervorden zugeschaltet, der noch einmal seinem Ärger Luft machen darf, dass sein Theater trotz erstklassigem Hygienekonzept weiter dicht bleiben muss: Dass Politiker Haarschnitte mit Würde in Verbindung gebracht haben, nicht aber die Kultur, habe ihn „auf die Palme gebracht“. Für ihn habe Würde eher mit Geist zu tun als mit der Haarlänge. Den Autor der 13-seitigen Corona-Beschlüsse der Regierung würde er zudem gern als Kabarett-Texter beauftragen. „Da hat man den Eindruck, dass die Regierung von Organisation so wenig versteht wie eine Heuschrecke vom Dressurreiten“, wettert Hallervorden und spricht von einem „absoluten Chaos“.Er erinnert daran, dass 2021 gewählt wird: „Vertrauen ist wie ein Eiswürfel - einmal geschmolzen kommt der nicht zurück.“ Daran sollten die Politiker im Wahljahr denken.

Zum Schluss fährt Moderatorin Maybrit Illner auf, was Söder zurecht ein „schweres Kaliber“ nennt: Sind die derzeitigen Toten angesichts schleppender Impfungen eher Opfer von Staatsversagen als Opfer des Virus? Der bayrische Ministerpräsident will, ebenso wie Kollegin Schwesig, keine Menschenleben aufrechnen, und regt an: Vielleicht solle die Frage eher heißen, „wie viel mehr an Normalität, wie viel mehr an Freiheit hätten wir, wenn wir mehr und schneller geimpft hätten.“ Aber nun könne ja nicht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn allein für die Bestellungspolitik der EU verantwortlich gemacht werden. Andere Länder hätten in diesem Bereich durchaus „frischer und pragmatischer gehandelt“, findet auch Habeck. Bei der Impfstoff- wie bei der Testbestellung sei das mögliche finanzielle Risiko offenbar zu hoch bewertet worden.

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