Karl Lauterbach bei Anne Will „Was dem Virus schadet, nutzt der Wirtschaft“

Düsseldorf · Je weiter die Corona-Einschränkungen gelockert werden, desto lauter werden sie kritisiert - ein Paradox. Anne Will fragt in der ARD, ob die Politik falsch handelt. SPD-Experte Karl Lauterbach betont, er halte sich von “Hygienedemos” fern.

 Anne Will diskutiert in der ARD mit ihren Gästen über die Corona-Maßnahmen und die Reaktionen der Bevölkerung.

Anne Will diskutiert in der ARD mit ihren Gästen über die Corona-Maßnahmen und die Reaktionen der Bevölkerung.

Foto: Screenshot ARD

In vielen Städten wird gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert. Anne Will fragt daher am Abend in der ARD: “Waren und sind die Einschränkungen der Grundrechte verhältnismäßig?

Darum ging es

Die Kritik an den Corona-Maßnahmen nimmt zu. Anne Will fragt: Wie soll man damit umgehen? Sie hat die Sessel im Studio weiter auseinandergerückt und fünf Gäste untergebracht. Einer von ihnen sieht eine weitere Polarisierung der Gesellschaft. Sahra Wagenknecht erklärt, wie Verwirrte denken, und Karl Lauterbach lamentiert, Epidemiologen seien halt immer die Verlierer.

Die Gäste

  • Karl Lauterbach, SPD, Gesundheitsökonom
  • Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler
  • Olaf Sundermeyer, RBB-Journalist
  • Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, ehemalige Bundesjustizministerin
  • Sahra Wagenknecht, Die Linke

Der Talkverlauf

Wills Annahme: Je erfolgreicher die Auflagen sind, desto geringer wird das Bedrohungsgefühl, aber desto lauter die Kritik an der Verhältnismäßigkeit der Grundrechtsbeschränkungen. Sie belegt das mit Zahlen des ZDF-Politbarometers: 66 Prozent der Deutschen halten demzufolge die Corona-Auflagen für gerade richtig, 17 Prozent finden sie übertrieben und 15 Prozent sind die Maßnahmen zu schwach.

SPD-Politiker Karl Lauterbach klagt - wie zuvor  in anderen Talkshows - über das Schicksal seiner Branche: “Haben wir Erfolg, heißt es, wir haben zu viel gemacht. Haben wir keinen Erfolg, sind wir erst recht die Buhmänner - Da kann man sich aussuchen, wie man scheitert”. Epidemiologen seien immer die Verlierer, handelten aber dennoch richtig. “Man muss gut erklären, und das ist uns in Teilen nicht gelungen”, meint der Politiker und Epidemiologe. “80 Prozent der Vorbeugemedizin ist die Erklärung dessen was man macht”, sagt Lauterbach, “Wenn ich die Bevölkerung nicht mitnehme, gelingt nichts.”

Zu den sogenannten Hygienedemonstrationen - die das eigentliche Thema der Sendung sind - wäre Lauterbach, anders als der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, “nie hingegangen”. Ohne Maske und Abstand da mit Leuten zu diskutieren, hält er für absurd. Er möchte eher denen den Rücken stärken, “die da nicht hingehen”.

Der einzige in der Runde, der sich diese Demonstrationen regelmäßig selbst anschaut, ist der RBB-Journalist Olaf Sundermeyer. Er schildert seine Beobachtung, dass es dort oft überhaupt nicht um das Thema gehe, mit Ausnahme vielleicht von Leuten aus der Reisebranche, von Fitnessstudios oder der Gastronomie, die ihre Existenz bedroht sähen. Vielmehr sehe er dieselben Akteure wie jene, die seinerzeit zu Anti-Flüchtlings-Demonstrationen gegangen seien. Auch die AfD mobilisiere, nachdem sie wochenlang keine Zustimmung bekommen habe.

“Das ist der Versuch, eine Protestkulisse aufzubauen.” Die werde medial verstärkt und vermittle mehr Unzufriedenheit als es wirklich in der Bevölkerung gebe. “Nicht alle sind organisierte Rechtsextremisten, viele aber schon”, sagt Sundermeyer. Sahra Wagenknecht war auch auf keiner Demo, warnt aber davor zu sagen, “dass das alles Leute sind, die rechtsextrem unterwandert sind”. Manche hätten schlicht Existenzängste, viele könnten vom Kurzarbeitergeld nicht leben, das bei vielen noch nicht einmal angekommen sei. Die Politik müsse mehr wirtschaftliche Hilfe anbieten. Die Linken-Politikerin findet, das vieles während der Krise nicht professionell genug erklärt wurde. Allerdings gebe es auch “wirklich Verrückte, die glauben Bill Gates hat sich die Pandemie ausgedacht um uns allen einen Microchip einzupflanzen”. Solchen Leuten dürfe man kein Podium bieten. Aber es gebe ja durchaus “auch seriöse Leute die sagen, die Einschränkungen waren nicht nötig“.

Den Vorwurf, es werde nicht genug erklärt, mag Lauterbach nicht wirklich fassen: Mittlerweile werde doch schon auf dem Kinderkanal der R-Wert rauf und runter besprochen, selbst Elfjährige hätten die Reproduktionsfaktoren im Griff.

Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen findet richtig, “den Suchenden und jenen, die Angst haben,” zuzuhören und mit ihnen zu sprechen. 30 Prozent der Deutschen konsumierten „andere Medien“ und glaubten teilweise an Verschwörungstheorien. 
Da stehe die Gesellschaft vor der Aufgabe, neue Formen der Aufklärung zu entdecken. Die Schlüsselfrage sei allerdings: “Wie erreicht man jene, die sich in mediale Parallelgesellschaften zurückgezogen haben?”

Er beobachtret eine “zunehmende Corona-Müdigkeit und eine zunehmende Zukunftsunruhe”. “Auf längere Sicht wird man zunehmend um die Akzeptanz kämpfen müssen, das ist eine unendlich schwierige Aufgabe für die Kommunikation.” Dort sieht er auch das Grundproblem der Krise: “der maximal verantwortliche Umgang mit elementarer Ungewissheit”. Der Bundeskanzlerin spricht Pörsken auf diesem Gebiet ein dickes Lob aus. Angela Merkels Rede vom 18.März nennt er “eine Blaupause gelungener Krisenkommunikation”. Sie habe “alles richtig gemacht” - das Dilemma abgewägt, Sorgen einbezogen, persönlich gesprochen. Nur sei das halt jetzt schon lange her.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat auch wenig Verständnis für die“ Hygienedemonstrationen“. Zumal die Restriktionen verfassungsrechtlich ohnehin schrittweise zurückgenommen würden. Die Richterin hat dafür ein paar praktische Ideen, wie verunsicherte Bürgerinnen und Bürger überzeugt werden könnten. Zum Beispiel durch konkrete Angaben, wann welche Auflagen zurückgenommen würden. Das mache die Schweizer Regierung auf ihrer Webseite vor, da könne jeder nachlesen, was wann gelockert werde. Das sei hilfreich im Kampf gegen Fehlinformationen und beim Vermeiden einer Situation, die Pörsken die “Zukunftslücke” nennt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort