Tom Buhrow im Interview "Wir können von Youtube lernen"

Köln · Für den Intendanten ist die Zukunft des WDR auch "schnell und schmutzig". Im Interview mit unserer Redaktion erklärt Tom Buhrow zudem, warum das Fernsehen für ihn noch immer das letzte Lagerfeuer ist. Auch zur umstrittenen Antisemitismus-Doku bezieht er Stellung.

 Seit 1. Juli 2013 ist der Rheinländer (geboren in Troisdorf) Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Unter seiner Führung fährt der Sender ein Sparprogramm: 500 von rund 4300 festen Stellen fallen weg.

Seit 1. Juli 2013 ist der Rheinländer (geboren in Troisdorf) Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Unter seiner Führung fährt der Sender ein Sparprogramm: 500 von rund 4300 festen Stellen fallen weg.

Foto: ARD

In seinem Büro am Kölner Appellhofplatz steht ein weißer Geißbock. WDR-Intendant Tom Buhrow (58) erzählt, das Tier sei ein Geschenk zum Einstand gewesen. "Aber ich bin auch Fan des FC", sagt er, um hinterherzuschieben: "Als Intendant schätze ich allerdings alle Stadien und Vereine in NRW wert." In dieser Woche ist der ehemalige "Tagesthemen"-Moderator in seinem Sender vor allen Dingen als Krisenmanager gefragt.

Am Mittwoch lief in der ARD die umstrittene Antisemitismus-Doku, die der WDR zunächst nicht zeigen wollte. Warum die Kehrtwende?

Buhrow Selbstverständlich hatten wir ein Interesse, die Dokumentation zu veröffentlichen - aber nur, wenn die Behauptungen und Informationen darin belegt und ordentlich journalistisch aufbereitet sind. Das haben wir geprüft. Unsere oberste Pflicht ist dabei: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. Die Veröffentlichung der "Bild" hat die Diskussion über den Film, der für uns in dieser Form zu viele handwerkliche Fragezeichen hatte, nochmals angeheizt. An der Stelle wollte ich dann für Klarheit sorgen und die diversen falschen Spekulationen über unsere Gründe für die Entscheidung ausräumen. Ich betone nochmals: Es ging uns dabei nicht um den Inhalt und das Thema der Dokumentation. Ausschlaggebend für unsere Entscheidung, den Film nicht in der damals vorliegenden Fassung zu senden, waren ausschließlich journalistische Standards und handwerkliche Grundsätze.

Und die Ursprungsfassung entsprach nicht diesen Standards?

Buhrow Nein. Für den WDR war die Erstfassung handwerklich nicht sauber und somit nicht veröffentlichungsfähig. Es wurden wesentliche journalistische Standards nicht eingehalten: zum Beispiel konnten Betroffene keine Stellung zu Vorwürfen nehmen, und Persönlichkeitsrechte wurden nicht beachtet. Das war in einem Fall mehr als grenzwertig. Auf unseren Wunsch hin hat der Produzent an einigen Stellen nachgebessert. Das war aber aus unserer Sicht nicht ausreichend.

Dann war es verantwortungslos von "Bild", den Film zu veröffentlichen?

Buhrow Zumindest entsprach die Version nicht unseren Standards. Nebenbei bemerkt: Dass man einen Film veröffentlicht, dessen Rechte man nicht besitzt, ist zumindest bemerkenswert.

Gab es politischen Druck?

Buhrow Nein.

Und der WDR wendet selbst immer alle journalistischen Standards an?

Buhrow Wir sind nicht perfekt, auch bei uns passieren Fehler. Aber die journalistischen Grundsätze gelten für alle Veröffentlichungen im WDR, ja.

Kommunikativ war das Ganze ein Desaster. Eine WDR-Kollegin hatte den Film ja abgenommen.

Buhrow Über interne Angelegenheiten äußere ich mich nicht. Generell erwarte ich immer ein Vier-Augen-Prinzip bei der Abnahme eines Films mit investigativen und besonders wichtigen Themen. Wir wollten den Film mit aller Sorgfalt prüfen und uns dafür die Zeit nehmen, die wir brauchen. Dann haben Dritte für ein Trommelfeuer der Medien gesorgt, und wir haben den Film im Rahmen einer transparenten Offensive mit unseren Erläuterungen veröffentlicht. Damit kann ich gut leben.

Kommen wir zu den schönen Themen, dem WDR-Programm.

Buhrow Schön. Danke.

Warten Sie es ab. Welche Sendung gibt es in zehn Jahren nicht mehr?

Buhrow Das kann Ihnen kein Medienmanager sagen.

Haben Sie keine "heilige Kuh"?

Buhrow Niemand weiß sicher, wie die Menschen in zehn Jahren fernsehen, Radio hören oder Nachrichten konsumieren. Aber sicher wird es die "Aktuelle Stunde" und die "Lokalzeit" auch in zehn Jahren noch geben, egal, wie diese Formate dann heißen. Das Regionale und die Information - das sind unsere großen Stärken, und das Interesse daran ist enorm. Im Hörfunk wird es die Morgensendung und das Mittagsmagazin geben. Sie sehen, ich glaube an die Zukunft der informativen journalistischen Formate.

Wo sehen Sie Chancen für Neues?

Buhrow Unsere Vision ist: Wir wollen das Leben der Menschen jeden Tag bereichern. Durch Informationen und Unterhaltung. Jedes Format muss unserem Publikum einen Mehrwert geben durch Qualität. Aber wie und was wir machen, das wird sich in den kommenden Jahren weiter rasant verändern. Der WDR wird das führende digitale Medienunternehmen im Westen sein. Damit hier (zeigt auf das vor ihm liegende Smartphone, Anm. d. Red.) lassen sich Filme drehen, Fotos machen, Videos schneiden. Das verändert alles. Wir müssen die Menschen immer dort erreichen, wo sie Unterhaltung und Informationen sofort abrufen wollen. Also müssen unsere Angebote stets mobil-kompatibel sein, und sie müssen effizient produziert werden.

Heißt für das Produkt?

Buhrow Na ja, wir können zum Beispiel durchaus von Youtube lernen. Persönliche, hautnahe, authentische Formate sind beliebt. Kurze, schnelle Filme, ungewöhnliche O-Töne, andere Schnitte. "Quick and dirty" (schnell und schmutzig) muss nicht schlecht sein, das kann sehr gute Unterhaltung sein. Ich glaube, der Trend geht weg von den großen Shows für den großen Bildschirm. Wir müssen die neuen Trends in unsere Programme noch stärker integrieren und selbst einige exotische Pflanzen pflegen und zur Blüte bringen. Ich sage meinen Leuten immer: Jeder kann mit 'nem Scheck hinter jemandem herlaufen, der schon ein Star ist. Guckt doch lieber, ob ihr den Schmetterling in einer Raupe findet.

Aber Ihr Journalismus soll billiger werden?

Buhrow Effizienter.

Also billiger. Sie brauchen weniger Leute für einen "Lokalzeit" Beitrag.

Buhrow Ja, das ist so. Aber deswegen wird das Produkt nicht billig. Der Kunde bekommt mehr gute Produkte in der gleichen Qualität.

Ihre freien Autoren und Produzenten beklagen, dass die Qualität leidet, wenn sie schneiden, filmen, vertonen, interviewen müssen.

Buhrow Dem widerspreche ich. Die Technik wird besser, leichter, einfacher. Deshalb kann ein guter Bericht über ein lokales Schützenfest heute mit weniger Personal gemacht werden. Es muss keine Qualitätseinbuße geben, nur weil wir mit modernen Produktionstechniken arbeiten. Ganz im Gegenteil.

Wo sind Ihre Leuchttürme im Unterhaltungsprogramm?

Buhrow Stolz bin ich darauf, dass ich eines meiner ersten Gespräche als Intendant mit Carolin Kebekus geführt habe. Damals gab es einen Konflikt zwischen ihr und dem WDR wegen der Kruzifix-Affäre. Ich habe Frau Kebekus gesagt: Ich finde Sie klasse und Sie werden ein großer Star - und ich möchte, dass Sie es bei uns werden. Und jetzt ist sie in der ARD. Das ist ein ganz großer Erfolg. Bei den Shows haben wir Anne Gesthuysen und Frank Plasberg mit dem Paarduell XXL am Samstagabend ins Erste gebracht.

Wie wollen Sie beim Serien-Hype von Netflix, Amazon und Co. mithalten?

Buhrow Das tun wir doch. Wir hatten einen wunderbaren Erfolg mit "Mord mit Aussicht", unserem Eifelkrimi mit einer ungewöhnlichen Sendelänge und einem super Ensemble. Das war ein Experiment, das großartig funktioniert hat.

Sind solche Formate die Antwort auf den Streaming-Erfolg?

Buhrow Auch. Netflix steckt viel Geld in lokale Märkte. Wenn Menschen sich in Serien wiedererkennen, sind diese auch erfolgreich. Ein Beispiel für dieses Prinzip ist unsere Serie "Phoenixsee", von der zurzeit die zweite Staffel gedreht wird. Nicht teuer produziert, aber die Menschen finden sich wieder. Regionalität und Identifikation - das sind die großen Themen.

Können Sie sich die Rechte für große Sportevents noch leisten?

Buhrow Wir sind uns in der ARD einig, dass wir verantwortungsvoll mit den Rundfunkbeiträgen umgehen wollen und dass wir nicht in irrealen Höhen mitbieten. Das hat zum Beispiel der Ausgang des Bieterverfahrens für Olympia gezeigt.

Warum bieten Sie dann noch mit?

Buhrow Weil wichtige Sportevents Lagerfeuer sind. Sie bringen alle Altersgruppen und alle Ethnien zusammen, ganz Deutschland debattiert zum Beispiel über Länderspiele. Das ist ein Kitt für die Gesellschaft. Und so viele Lagerfeuer gibt es nicht mehr: Die "Tagesschau" wäre noch eines, und der "Tatort".

Schwarz-gelb regiert nun das Land, was erwarten Sie für Ihren oft als Rotfunk bezeichneten Sender?

Buhrow (lacht) Sie pflegen alte Vorurteile. Aus journalistischer Sicht betrachtet, bedeutet Schwarz-Gelb business as usual. Unsere Aufgabe ist es, jede Landesregierung fair und mit Fakten untermauert journalistisch zu beobachten, damit die Bürger in NRW sich ein eigenes Bild machen können. Was Schwarz-Gelb medienpolitisch bedeutet, wird man sehen. Es ist kein Geheimnis, dass ich es für einen großen Fehler hielt, dass der alte Landtag die Werbezeiten für den WDR-Hörfunk einseitig verkürzt hat - ohne dass wir dafür eine Kompensation bekommen.

Schwarz-Gelb hat das Ziel der Werbefreiheit, glauben Sie, dass Sie nun Ihren Sparkurs verschärfen müssen ?

Buhrow Wir müssen jetzt schauen, wie dieser Koalitionsvertrag mit Leben gefüllt wird. Ich habe aber die Hoffnung, dass man die Interessen des WDR realistisch im Blick hat. Das Ziel Werbefreiheit ist ein ehrenvolles Ziel, das ich mittragen kann. Aber man muss darauf achten, dass dann nicht einseitige Finanzausfälle gerade bei dem Landessender in NRW entstehen, ohne dass diese kompensiert werden. Damit straft man auch die Reformanstrengungen der Kolleginnen und Kollegen im WDR: dem Sender, der so viel dafür macht, was alle fordern: sich verschlanken und effizient arbeiten.

Stichwort Orchester: Werden Sie die vier Klangkörper behalten?

Buhrow Davon gehe ich aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand ein Interesse daran hat, an diesen wertvollen Kulturauftrag die Axt zu legen.

Und was ist mit Düsseldorf? Die "Aktuelle Stunde" zieht nach Köln.

Buhrow Ich werde mich persönlich dafür einsetzen, den Studio-Standort in Düsseldorf zu stärken, auch wenn wir die Aktualität in Köln bündeln werden.

MICHAEL BRÖCKER UND MARTINA STÖCKER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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