Kritik bei „Maybrit Illner“ nach Halle-Anschlag „Die Politik wird erst dann wach, wenn irgendwo Opfer auf der Straße liegen“

Berlin · Der Anschlag von Halle war am Donnerstagabend Thema in der ZDF-Talksendung „Maybrit Illner“. Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter war nicht der einzige Gast in der Runde, der deutliche Worte fand.

 Das war die Talkrunde (v.l.): Sebastian Fiedler, Reiner Haseloff, Maybrit Illner, Stephan Kramer, Marina Weisband und Elmar Theveßen.

Das war die Talkrunde (v.l.): Sebastian Fiedler, Reiner Haseloff, Maybrit Illner, Stephan Kramer, Marina Weisband und Elmar Theveßen.

Foto: ZDF

Ursprünglich wollte Maybrit Illner am Donnerstag über die drohende Amtsenthebung des US-Präsidenten Donald Trump diskutieren, doch wegen des mutmaßlich rechten Terroranschlags in Halle an der Saale lautete das Thema der Sendung „Anschlag in Halle – tödlicher Judenhass in Deutschland“.

Moderatorin Maybrit Illner begrüßte fünf Gäste: Den Terrorexperten und USA-Korrespondenten Elmar Theveßen, den sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU), die Grünen-Politikerin und gläubige Jüdin Marina Weisband, Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter sowie Stephan Kramer, den Präsidenten des thüringischen Verfassungsschutzes.

Alle Gäste zeigten sich bestürzt über das Geschehene: Am Mittwoch hatte der 27-järhige Stephan B. zwei Menschen in der Nähe einer Synagoge in der Innenstadt von Halle erschossen und weitere Menschen verletzt, ehe er von Spezialkräften der Polizei etliche Kilometer vom Anschlagsort entfernt festgenommen werden konnte. Das Ziel des rechtsextremen Täters: Er wollte in der Synagoge ein Massaker anrichten, was offenbar nur durch glückliche Umstände verhindert wurde.

Die Gäste der Talksendung befassten sich unter anderem mit den Frage, wie groß die Gefahr sei, die von Rechtsextremisten ausgehe, und was passieren muss, damit Taten wie die von Halle künftig verhindert werden können. Deutliche Worte fand Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter: Er kritisierte den geringen Personalbestand der Polizei auch in Sachsen-Anhalt, sprach von einer „personell desaströsen Situation“ und von einer „reaktiven Kriminalpolitik“.

Dabei sehen viele eine Bedrohung von rechts – Generalbundesanwalt Peter Frank bezeichnete rechten Terror als Kostenpflichtiger Inhalt „sehr ernst zu nehmendes Langzeitproblem für Staat und Gesellschaft“. Sebastian Fiedler: „Die Politik wird erst dann wach, wenn irgendwo Opfer auf der Straße liegen.“ Er forderte, dass sich daran etwas ändern müsse. Die dünne Polizeidichte – das sei eine bittere Wahrheit.

Stark betroffen von der Tat in Halle zeigte sich erneut Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff. Der Anschlag stecke ihm in den Knochen. „Ich werde bis zu meinem Lebensende daran zu knabbern haben.“ Der Ministerpräsident gab zu: „Wir hatten diesen Täter bisher nicht auf dem Schirm.“ Haseloff betonte: „Wir müssen Wege finden, dass wir so etwas für die Zukunft ausschließen können.“ Er wolle das zum Thema in der Innenministerkonferenz machen, die in zwei Wochen stattfinden soll. Und Haseloff plädierte für eine internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen Extremisten. Der Ministerpräsident betonte zudem in Bezug auf Sicherheitsmaßnahmen für Synagogen: „Wir müssen einheitlich in Deutschland die Standards überprüfen.“

Noch deutlicher als Reiner Haseloff äußerte sich der thüringische Verfassungsschutz-Chef Stephan Kramer. „Wir haben über lange Zeit den Rechtsterrorismus kleingeredet.“ Seit etwa zwei Jahren werde dem Problem wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt, es habe einen Kurswechsel gegeben. Zuvor habe der Fokus vor allem auf islamistischem Terror gelegen. „Wir müssen uns ehrlich machen, es ist lange Zeit beschönigt worden“, sagte er.

Wie groß die Bedrohung durch radikalisierte Rechte ist, erklärte der ZDF-Terrorismusexperte Elmar Theveßen. Der Täter sei eingebettet in ein internationales Netzwerk, in dem die Ideologie immer weiter aufgeschaukelt werde. Man sporne sich dort an, Andersdenkende zu töten.

„Hinterher werden Täter dort gefeiert“, sagte der Experte – und ging diesbezüglich auch auf den aktuellen Fall ein. Der Täter hatte seinen Anschlag in Halle mit einer Helmkamera gefilmt und live ins Internet übertragen. Das Video wurde verbreitet, später von Internet-Plattformen gelöscht. Allerdings kursieren noch immer Ausschnitte – zum Teil leicht verändert – im Netz. „Es gibt weltweit eine Szene, die genauso tickt“, sagte Theveßen. Nutzer aus mehreren europäischen Ländern, die offenbar ähnlich gesinnt sind wie der Täter, sollen unter den verbreiteten Videos kommentiert haben, zum Teil sollen Opfer beleidigt worden sein. In rechten Netzwerken soll sich auch der Täter von Halle ausgetaucht haben.

Aus Sicht von Elmar Theveßen sei es „durchaus vorstellbar“, dass solche Taten wie die Halle Nachahmer finden. Mit Blick auf rechte Gruppierungen und Parteien sprach der Terrorismusexperte von einem „fruchtbaren Boden, der in Deutschland jeden Tag gedüngt wird“.

Die jüdische Grünen-Politikerin Marina Weisband betonte bei Maybrit Illner, dass der Anschlag an der Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur nicht als ein „Alarmzeichen“ verstanden werden könne. Damit nahm sie Bezug auf ein Zitat der Bundesverteidigungsministerin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, das in einem Tweet veröffentlicht worden war. Darin hieß es unter anderem: „Ein solcher Angriff am höchsten jüdischen Feiertag ist ein Alarmzeichen in Deutschland, das niemanden in Deutschland unberührt lassen kann.“ „Was ist dann der Ernstfall?“, fragte Marina Weisband.

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