Paar-Therapeutin über „Temptation Island“ „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Beziehungen zerbrechen“
Düsseldorf · Am Mittwoch startet die neue RTL-Show „Temptation Island – Versuchung im Paradies“. Doch warum machen Paare überhaupt bei dem TV-Treuetest mit? Und ist eine Show mit Trennungs-Garantie nicht moralisch verwerflich? Das sagt eine Paar-Therapeutin.

Das sind die Kandidaten bei „Temptation Island“ 2020
Die Zeiten, in denen Menschen die große Liebe im Fernsehen suchten, sind offenbar vorbei. Stattdessen geht es jetzt darum, sie zu behalten. So lautet kurz zusammengefasst das Konzept der neuen RTL-Entkuppel-Show. Denn auf „Temptation Island“ unterziehen sich vier Paare einem Treuetest. Dazu werden sie nach ihrer Ankunft in Asien getrennt. Sie wohnen dann mit jeweils elf weiblichen und männlichen Singles zusammen. Die Aufgabe der „sexy Singles“, wie RTL die Villa-Bewohner nennt: einen Keil zwischen die Paare treiben.
„Wenn eines dieser Paare mich vorher um Rat gefragt hätte, hätte ich gesagt: Fahrt erst gar nicht hin. Sagt das Ganze ab“, sagt Carina Holthoff. Die Düsseldorferin ist studierte Psychologin und Paar-Therapeutin. Sie findet die neue RTL-Show zwar spannend, für die Teilnehmer aber auch bedenklich. „Da kann ganz viel schief gehen“, sagt Holthoff. Denn sich überhaupt bei einer Show wie „Temptation Island“ anzumelden, spreche dafür, dass die Paare schon im Alltag eher unsicher bezüglich ihres Beziehungsstatus sind. Keine gute Grundlage für eine solche Extremsituation.
„Ich sehe meinen Partner nicht, kann nicht mit ihm sprechen. Ich weiß nicht, was gerade in der anderen Villa passiert. Und dann kommt die Fantasie ins Spiel“, sagt Holthoff über die Zeit, die die Pärchen bei „Temptation Island“ durchmachen. Dass RTL den Kandidaten am Abend eines jeden Tages Ausschnitte vom Geschehen aus der anderen Villa zeigt, mache die Sache nicht besser. Denn unabhängig davon, wie möglicherweise verfälschend diese Zusammenschnitte sind, können sie nicht den kompletten Tag abbilden. „Da bleibt viel Interpretationsspielraum. Und dann kommen die Gedanken, dann kommen die Zweifel“, erklärt Holthoff. Auf diese Weise könne sich ein Partner leicht in eine Sache hineinsteigern, die so gar nicht passiert ist. „Obwohl der andere vielleicht noch gar nichts gemacht hat, ist das dann schon total im Kopf drin“, erklärt Holthoff. „Wenn der sowieso fremdgeht, muss ich ja nicht hier sitzen und heulen. Dann kann ich das genauso machen“, schildert Holthoff den möglichen Gedankengang einer Kandidatin.
„Das geht entgegen einer romantischen Vorstellung von Partnerschaft und Liebe“
Für die 33-Jährige sind die Beweggründe der Teilnehmer nur bedingt nachvollziehbar. „Wenn man sich gegenseitig vertraut, kann man das natürlich als gratis Urlaub mitnehmen“, sagt Holthoff zwar. Dass die Paare wirklich ihre Treue testen wollen, kann sie sich jedoch kaum vorstellen: „Das geht auch im Alltag. Dafür muss man nicht ins Fernsehen.“ Viel naheliegender sei es, dass die Kandidaten einfach berühmt werden wollen. Die eigene Beziehung auf diese Art und Weise öffentlich zu machen, hält Holthoff nicht für sinnvoll. „Das geht entgegen einer romantischen Vorstellung von Partnerschaft und Liebe.“
In diesem Sinne passe ein anderer Titel als „Insel der Versuchung“ deutlich besser. „Insel der Trennung zum Beispiel“, sagt Holthoff. „Ich denke, dass bei den Paaren, die da mitmachen, schon vorher so viel im Argen liegt, dass die sich wahrscheinlich sowieso irgendwann trennen“, erklärt die Paartherapeutin. Unter diesen Voraussetzungen überhaupt an „Temptation Island“ teilzunehmen, spreche noch für einen ganz anderen Sendungs-Titel: „Insel des Wahnsinns“.
„Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Beziehungen zerbrechen“
Holthoff will jedoch nicht ausschließen, dass die Teilnahme an „Temptation Island“ auch einen positiven Effekt haben könnte. „Ich glaube durchaus, dass eine Beziehung daran wachsen kann“, sagt Holthoff. Wenn auch auf Kosten anderer. Nämlich in dem Fall, dass nur eines der Paare zusammen bleibt. Und im Gegensatz zu den gescheiterten anderen Pärchen ohne großes Drama und Eifersucht auskommt. „Dann hat dieses Paar natürlich einen extremen Vertrauensvorsprung. Daraus kann eine Beziehung viel Stärke beziehen“, sagt die 33-Jährige. Die Chance, dass es dazu kommt, sei jedoch vergleichsweise gering. Die Gefahr, seine Partnerschafft auf der „Insel der Versuchung“ zu verlieren, sei deutlich größer. „Wenn man sich rein dieses Prinzip anschaut, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Beziehungen durch so ein Format zerbrechen.“
Und was ist mit den insgesamt 22 „sexy Single- Männern“ und „sexy Single-Frauen“? Eine Diagnose aus der Ferne ist für die Psychologin schwierig. Sich jedoch als Beziehungs-Killer im Fernsehen einspannen zu lassen, könne bedeuten, dass „der ein oder andere eine narzisstische Persönlichkeitsstörung oder ein Selbstwertproblem hat.“
„Braucht unsere Gesellschaft das?“
Stellt sich zum Schluss die Frage nach der Rolle der Sendungsmacher. Ist es moralisch verwerflich, für Konflikte zwischen Pärchen zu sorgen und so möglicherweise deren Beziehung zu sabotieren? Und das unter dem Deckmantel eines Treuetests. „So lange es Menschen gibt, die da freiwillig mitmachen und natürlich auch Menschen, die sich das Ganze angucken, kann man die Moral-Frage eigentlich gar nicht beantworten“, sagt Holthoff. „Aber das Format ist natürlich schon etwas, bei dem ich persönlich sage: Braucht unsere Gesellschaft das?“