"Tatort"-Nachlese Hacker-Klamauk mit neurotischen Nachbarn

Düsseldorf · Hoch die Hände, Wochenende! Der Frankfurter "Tatort: Wendehammer" stellt Surrealismus über Realismus. Dabei erfreut er mit dadaistischen Dialogen und dem allseits herbeigesehnten Verzicht auf Sozialkritik oder Privatprobleme der Ermittler.

Frankfurter Tatort: Szenen aus "Wendehammer"
11 Bilder

Szenen aus dem "Tatort: Wendehammer"

11 Bilder

90 Minuten in 90 Zeichen

Nils liebt PCs, Kameras, Elektrozäune und hasst Tiere. Deshalb hassen seine Nachbarn ihn.

Ist dieser Film realistisch?

Kein Stück. Das Kamerasystem von Ober-Nerd Nils Engels beispielsweise ist gekoppelt mit einer Software zur Live-Gesichtserkennung. Wie selbstverständlich greift er im nächsten Moment auf die Personalakten von Paul Brix (Wolfram Koch) und Anna Janneke (Margarita Broich) zu — will sagen, er hat entweder in Sekunden oder unbemerkt vor längerer Zeit das interne Netzwerk der Polizei gehackt. Außerdem trägt er eine WLAN-fähige Videokamera, die unsichtbar in eine Kontaktlinse eingearbeitet ist und sich automatisch einschaltet, wenn der Träger starke Emotionen verspürt. Sein Rasenmäh-Roboter sieht aus wie das Batmobil. Und wenn er mal ein paar Stunden nicht am Rechner sitzt, bricht das Stromnetz in ganz Frankfurt (Deutschland? Europa?) zusammen.

Ist das schlimm?

Überhaupt nicht, im Gegenteil. Hier ist ja jeder und alles neben der Spur — aber eben nur leicht, nicht so maßlos überdreht wie im Münster-"Tatort". Denn es gibt sie ja tatsächlich: Menschen wie die osteuropäische Operndiva Olga samt ihren Möpsen Wladimir und Vitali oder Alt-Playboy Abendroth. Und wer würde beschwören, dass nicht auch ab und zu mal ein menschliches Auge durch den Raum fliegt, wenn Gerichtsmediziner das Grusel-Potenzial unterschätzen, das abgetrennte menschliche Körperteile für Laien darstellen, vor allem wenn der Doc sie ohne Vorwarnung anreicht? Die Summe dieser Szenen sorgt für eine Surrealität, die sich noch besser nur in den Filmen der Coen-Brüder ("Fargo", "The Big Lebowski") findet — oder in den besten "Tatort"-Folgen aus Wiesbaden und Weimar.

Die Sprüche und Dialoge zum Mitreden:

Auch abgesehen von den Gags, die ohne Sprache auskommen (Das "Schlagen" der Kuckucksuhr, weil die zum ungünstigen Zeitpunkt geschlagen hatte! Niesende Möpse! Unheimliche Uhus! Eine Flugzeug-Explosion am Flughafen Frankfurt-Egel!) sowie Brix' trockenen Einzeilern "Hier is' nich' mal 'n Finger" und "Klingel ging nich'" gibt es hier diverse Kandidaten. Denkwürdig dadaistisch:

- "Massive... Data."
- "Massive Data?"
- "Massive Data."
- "Massive Data???"
- "Massive Data!"
- "Massive Data..."

Ist dieser Krimi preisverdächtig?

Das ist noch mehr Geschmackssache als in solchen Fragen üblich. Margarita Broich jedenfalls wurde Ende Oktober für diesen "Tatort" mit dem Hessischen Fernsehpreis als "Beste Schauspielerin" ausgezeichnet. Den lustigsten Foto-Fimmel hat Janneke definitiv — und mit ihrem Porsche 924 auch eines der coolsten Autos. Aus Angst davor, in ihrer Rolle einen VW Polo fahren zu müssen, hatte Broich mit einem beherzten Anruf selbst dafür gesorgt. Dem eigenwilligen Charme des Oldtimers ist sie längst erlegen. Der Mangel an Servolenkung sei gut für ihre Armmuskeln, erklärte sie etwa der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Im Innenraum wimmele es vor 'Porsche'-Schriftzügen — "als würde man es vergessen, wenn man drinsitzt". Und die Scheinwerfer des Wagens erinnern sie an ein laszives Kamel.

Wann kommt der nächste Frankfurt-"Tatort"?

Schon in drei Wochen. In ihrem fünften Fall "Land in dieser Zeit" nehmen die Ermittler am 8. Januar nach einem Brandanschlag auf eine Friseuse einen afrikanischen Drogendealer ins Visier.

(tojo)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort